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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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sicher.
    Roland versuchte, sich auf das Gebet zu konzentrieren, das nun alle sprachen, die der Worte mächtig waren. Ihm selbst kamen sie nicht leicht über die Lippen – Latein eben. Aber die süße Stimme seiner Tochter sprach die Silben ganz selbstverständlich mit. Ein schönes Kind … nur schade, dass ihm kein männlicher Erbe vergönnt war. Das hätte seinen Anspruch auf Lauenstein untermauert. So würde er Sophia geschickt verheiraten müssen. Roland ergab sich dem Tagtraum von einem passenden Schwiegersohn: Ein Kämpfer, aber auch lustig und trinkfreudig musste er sein, und um Himmels willen keiner dieser Stutzer, die man neuerdings an Minnehöfen heranzog.
    Dietmar von Lauenstein konnte die Gebete mitsprechen. Sein Latein war ordentlich, Gerlin hatte ihn schon als kleines Kind von ihrem Hofkaplan unterrichten lassen. Ihr war es da zwar mehr aufs Lesen und Schreiben angekommen als auf die Kirchensprache, aber der Kaplan betrieb den Unterricht lustlos und ließ den Knaben einfach das lesen, was gerade zur Hand war. Meist lateinische Gebete. Der kleine Dietmar ging die Sache dagegen mit Feuereifer an. Hielten ihm seine Mutter und sein Pflegevater doch stets vor, wie klug und lernwillig sein leiblicher Vater Dietrich gewesen war. Dietrich hatte fließend Latein und sogar Griechisch lesen können, und Dietmar wollte es ihm gleichtun. Später fanden sich dann auch Texte, die ihn deutlich mehr interessierten. Er verschlang den Gallischen Krieg von Julius Cäsar und andere Werke von Militärstrategen.
    Aber auch wenn der Gottesdienst ihn sprachlich nicht überforderte – die Geduld des jungen Ritters stieß doch bald an ihre Grenzen. Wie oft wollte man Gott denn noch loben und um Segen für den König anflehen, bevor man Friedrich nun endlich krönte? Die ersten zwei Stunden hatten der Prunk im Altarraum und die Betrachtung all des Goldes, des bunten Glases und der Heiligenbilder im Mainzer Dom Dietmars Aufmerksamkeit zwar noch gefesselt, aber jetzt reichte es ihm. Außerdem knurrte sein Magen. Dietmar war gläubig, aber der Kirche nicht so ergeben wie einst sein Vater. Gerlin hatte erzählt, dass Dietrich von Lauenstein wahrscheinlich eine geistliche Laufbahn gewählt hätte, wäre seinem Vater ein weiterer Erbe vergönnt gewesen.
    Aber sosehr Dietmar bereit war, das Andenken seines Vaters zu ehren und ihm als tugendhafter Ritter nachzueifern – so weit ging seine Ergebenheit nicht. Dietmar träumte von ein paar guten Kämpfen, der Rückeroberung seines Lehens – und dann der Liebe eines schönen Mädchens. Am besten einer Dunkelhaarigen mit kohlrabenschwarzen Augen, ähnlich seiner Minneherrin, nur nicht gar so streng …
    Dietmar wollte sich gerade entsprechenden Tagträumen hingeben, als ihm eine helle Stimme auffiel, die aus einer der Seitenkapellen herüberklang. Eigentlich hätte er da keine Frau vermutet – gewöhnlich saß man in Kirchen nach Geschlechtern getrennt, die Damen im linken Schiff, die Herren im rechten. Nur hochedle Familien, die über eigene Kirchensitze verfügten, blieben zusammen. Heute hatte man diese Regel aber für den Mainzer Dom aufgehoben. Bei der Königskrönung waren nur wenige Damen anwesend – natürlich die Königin mit ihrem Hofstaat und die Frauen der wichtigsten Vertreter des Hochadels. Aber die Mehrzahl der Anwesenden waren junge Ritter, welche die Eskorten der Grafen, Barone, Prinzen und natürlich die Vertreter des Klerus stellten. Es wäre unsinnig gewesen, sie alle ins rechte Kirchenschiff zu pferchen, während das linke halb leer blieb. Aber wen verbannte man da wohl in die äußersten Ecken der Kirche? Ordensfrauen vielleicht? Die Stimme erklang in korrektem Latein. Dietmar spähte in die Seitenkapelle hinüber – und vergaß sofort seinen Traum von der dunkelhaarigen Schönheit.
    Keine Nonne, eine junge Frau! Und die schönste, die er je gesehen hatte! Hatte er eben noch das Gold an den Bildnissen der Heiligen bewundert und die Königskrone am Altar? Das alles verblasste gegen die Flut glatten goldenen Haars, die unter dem züchtigen grünen Schleier der Schönheit hervorblitzte. Und dann das Gesicht … Die Kerzen des Marienaltars neben ihrem Platz tauchten es in sanftes Licht – und für Dietmar ließ es das Antlitz der Gottesmutter verblassen. Die langen Wimpern, die feinen Züge, die vollen, geschwungenen Lippen, die ganz ernsthaft das Gebet sprachen … Dietmar konnte die Farbe ihrer Augen nicht erkennen, aber sie mussten grün sein. Bestimmt waren sie

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