Das Erbe der Pilgerin
warf. Und der folgende Schwertkampf gestaltete sich nicht weniger furios. Dabei war der Thüringer Ritter kein Anfänger wie Rüdigers erster Gegner. Vor Roland von Ornemündes Schwertarm musste man sich auch als erfahrener Ritter in Acht nehmen.
»Da siehst du es!«, beschied Rüdiger den jungen Ritter noch einmal nachdrücklich. »Du brauchst noch einige Jahre Übung, bevor du dem Mann im Kampf gegenübertreten kannst! Also reiz ihn nicht unnötig mit irgendwelchen Heiratsanträgen. Geh ihm am besten überhaupt aus dem Weg. Deine Zeit wird kommen, aber noch brauchst du Geduld.«
Rüdiger empfand Besorgnis, als Dietmar daraufhin das Gesicht verzog. »Ich werde ihn nicht reizen«, gestand der junge Ritter zu. »Aber ich kann ihm auch nicht aus dem Weg gehen! Wir stehen beide noch im Wettbewerb, Oheim! Dieses Turnier ist längst nicht zu Ende. Und wenn ich gegen ihn kämpfen muss … Ich werde nicht die Lanze vor ihm senken!«
Rüdiger und Abram sahen sich an – und senkten dann gleichzeitig den Blick. Es durfte nicht sein, dass Dietmar dem Ornemünder gegenübertrat. Auch Holzschwerter konnten töten, und Roland verstand sich auf jede Finte. Sie würden etwas tun müssen, um dieses Treffen zu verhindern!
»Was willst du also machen, wenn es so weit kommt?«
Abram und Rüdiger hatten sich am Abend des ersten Turniertages in einer Schenke getroffen, beide schlicht gekleidet, weder als Ritter noch als Maure auf den ersten Blick zu erkennen. Um Dietmar brauchten sie sich in dieser Nacht nicht zu sorgen. Er hatte sich mit seinem Sieg im zweiten Tjost des Tages einen kleinen Preis im Wettbewerb um den Tagessieger erstritten und durfte in Begleitung seines Prinzen dem Bankett des Königs beiwohnen. Natürlich platzte er vor Stolz, und Rüdiger gönnte es ihm. Zumal das Fest des Königs ihn zuverlässig von Roland von Ornemünde fernhielt. Sowohl Roland als auch Rüdiger war an diesem ersten Tag kein zweiter Gegner zugewiesen worden. Sie lagen also zwangsläufig hinter Dietmar zurück – und keiner lud sie ehrenhalber an die Tafel des Königs.
»Noch mal geht das nicht, mit der Lanze des heiligen Georg …« Abram nahm einen tiefen Schluck Wein.
Hansi, der Rüdiger kaum einmal von der Seite wich, gluckste. Abram hatte ihm die Geschichte des Treffens zwischen Dietrich von Lauenstein und Roland von Ornemünde erzählt. Der Tjost und der Schwertkampf zwischen den beiden war als Schaukampf anlässlich von Dietrichs Schwertleite deklariert, aber Gerlin, Florís und der Medikus befürchteten, dass Roland vorhatte, den jungen Ritter dabei zu töten. Keinem von ihnen war eine Möglichkeit eingefallen, das abzuwenden, nur Rüdiger, damals Rolands Knappe, hatte Maßnahmen ergriffen. Zunächst jubelte er dem Ritter eine marode Lanze unter, die er Abram – »Die Lanze des heiligen Georg, da klebt noch das Blut des Drachen dran!« – als Reliquie abgekauft hatte. Natürlich zerbarst sie an Dietrichs Rüstung. Das Holzschwert, mit dem Roland in die zweite Runde ging, war ebenfalls präpariert. Einige Wochen neben Rüdigers Herdfeuer hatten es spröde gemacht. Dietrich wurde letztlich zum Sieger des Treffens erklärt, nachdem auch das Schwert seines Gegners im Kampf zerbrach.
»Nein«, meinte Rüdiger bedauernd. »So nah wird er mich nicht wieder an sich heranlassen … Da muss uns was anderes einfallen.«
»Was ist denn, wenn du gegen ihn kämpfen musst?«, fragte Abram. »Trittst du an?«
Rüdiger zuckte die Schultern. »Ich weiß es noch nicht«, meinte er dann. »Es ist nicht, dass ich um mein Leben fürchte – mit einem Holzschwert wird Roland mich nicht umbringen, das weiß ich abzuwehren. Aber ich gäbe ihm ungern Einblicke in meinen Kampfstil, meine Schwachstellen …«
»Du würdest deinerseits welche in die seinen gewinnen«, gab Abram zu bedenken.
Rüdiger grinste. »Abram, ich war fast ein Jahr lang sein Knappe. Ich kenne seinen Kampfstil in- und auswendig, und ich habe viel von ihm gelernt. Dem Mann hapert es zwar an jeglicher ritterlicher Tugend und Ehre, aber was Lanze und Schwert angeht, hat er kaum seinesgleichen. Sollte ich ihm mal im ernsthaften Kampf gegenüberstehen, werde ich jede Finte brauchen können, die ich beherrsche. Wenn ich mir also jetzt schon die Blöße gebe …«
Abram zuckte die Achseln. »Du musst es wissen. Aber was machst du mit dem jungen Mann?«
»Erst mal hoffen, dass er morgen ehrenhaft verliert«, seufzte Rüdiger. »Er wird zwei Kämpfe bestreiten, aber kaum mit Roland oder
Weitere Kostenlose Bücher