Das Erbe der Pilgerin
huldigt.«
Dietmar schluckte. Das war etwas viel schöne Rede nach vier Bechern Wein. Aber es bestätigte ihn in seiner Vorstellung von Sophia von Ornemünde. Sie war nicht nur sanft und schön, sie war auch klug. Er suchte nach Worten.
»Der Rabe«, hob er an, aber dann gab er es doch auf. »Ihr wollt wirklich, dass ich singe? Sophia, ich … also eben habt Ihr noch gesagt, ich soll leise sein.«
Sophia lachte wieder. »Es ist das Vorrecht der Dame, ihre Meinung zu ändern«, neckte sie ihn, »und die Demut und Ergebung des Herrn zu prüfen. Was ist, beweist Ihr Mut, Herr Dietmar? Oder versagt Ihr schon bei der ersten Aufgabe, die ich Euch stelle?«
Dietmar versuchte verzweifelt, sich an irgendein Lied zu erinnern, das die Troubadoure am Hofe des Königs gesungen hatten. Aber seine Kehle war wie zugeschnürt.
»Könnt Ihr nicht … also … gibt es nicht irgendeine andere Aufgabe für mich?«, fragte er. Seine Stimme klang gequält. »Vielleicht … vielleicht könnte ich … unter Eurem Zeichen in die Schranken reiten? Ich könnte ein Turnier für Euch gewinnen … ein … hm … Pferd! Ich traf Euch auf dem Markt, Herrin, Ihr mögt Pferde!«
Sophia lächelte zu Dietmar herunter. Sie konnte ihn nicht länger ärgern. Und es war natürlich absolut undenkbar, dass er hier die Stimme erhob, selbst wenn er singen könnte. In der Schenke unterhalb des Schlafraums war noch Betrieb, und auch die Ritter, die schon auf den Strohsäcken lagen, waren sicher nicht so betrunken, dass ein Sänger sie nicht gestört hätte.
»Ein Streitross?«, fragte sie dann aber doch noch und runzelte die Stirn. »Soll ich mit Euch in die Schlacht reiten, Herr Dietmar?«
Sie wunderte sich, dass Dietmar nickte. »Ja, Herrin«, sagte er leise. »Ich fürchte, darauf könnte es hinauslaufen. Aber nicht gleich morgen. Morgen …«
Bevor er weitersprechen konnte, wandte Sophia sich hastig um. Sie hörte jemanden die Treppe hinaufkommen. Alarmiert richtete sie sich auf. Das Spiel mit dem jungen Ritter wurde zwar immer kurzweiliger und herzerwärmender, aber entdecken durfte man sie nicht! Hastig löste Sophia ein Band aus ihrem Haar. Sie verstand sich selbst nicht mehr, eigentlich sollte sie sich schämen. Aber sie hatte sich nie so aufgeregt und glücklich gefühlt wie jetzt, da sie Dietmar ihr Band herunterwarf.
»Hier habt Ihr mein Zeichen! Aber jetzt muss ich gehen. Und Ihr auch, es kommt jemand!«
Damit entschwand Sophia, während Dietmar mit verklärtem Blick auf das Seidenband zurückblieb. Er hatte es geschafft, er hatte ihr Zeichen. Sie erwiderte seine Gefühle …
Dietmar schwebte durch die Straßen zurück zum Bischofspalast. Am kommenden Tag würde er kämpfen, wie er nie gekämpft hatte! Für Sophia würde er siegen. Und falls er gegen ihren Vater antreten musste … wenn sie nur auf seiner Seite war!
Dietmar traute sich zu, mit Sophia an seiner Seite selbst gegen den Erzengel Michael anzutreten. Er war überglücklich!
Kapitel 7
A uch der nächste Tag war klar und kalt, wenngleich es noch nicht gefroren hatte. Ein Glücksfall für die Turnierkämpfer, die sich so weder im Schlamm suhlen noch befürchten mussten, dass ihre Pferde auf dem Eis ausglitten. Für Dezember war in Mainz hervorragendes Wetter, die Regentschaft des neuen Königs stand unter einem guten Omen, wie der Bischof nicht müde wurde zu beteuern.
Roland von Ornemünde gewann seinen ersten Kampf und ebenso Rüdiger von Falkenberg. Die Ritter trafen sich auf dem Abreiteplatz und tauschten so eisige Blicke, dass der kalte Wind über dem Platz dagegen heiß wirkte wie ein Wüstensturm. Das sagte jedenfalls Abram zu Dietmar. Rüdiger hatte seinen jüdischen Freund inzwischen seinem Neffen vorgestellt – und Abram unterhielt den jungen Mann bestens mit Geschichten von der Pilgerfahrt nach Tours, die Gerlin von Lauenstein und Abrams Oheim Salomon damals vorgetäuscht hatten, um Dietmar vor Roland in Sicherheit zu bringen.
»Wir sind als Bader gereist – und Ihr, Herr Dietmar, wart ein rechtes Gauklerkind. Ihr habt an unseren Feuern laufen gelernt, und Ihr habt fast nie geweint, auch wenn es kalt war und nass auf dem Wagen. Aber vor allem wart Ihr ein geborener Reiter. Es konnte Euch nicht schnell genug gehen, wenn man Euch mit aufs Pferd nahm …«
Natürlich war es Abrams eigentliche Aufgabe, ein Auge auf den jungen Mann zu werfen und möglichst großen Abstand zwischen ihm und Roland von Ornemünde zu wahren, am besten auch eine größere Distanz zu dessen
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