Das Erbe der Pilgerin
Natürlich waren die maurischen Frauen zurückhaltend – und die Mädchen der Albigenser. Aber hier in Mainz duldete man sicher keine Ketzer.
Der junge Ritter brachte eben wieder ein Wort heraus.
»Und … und wie könnte ich überhaupt etwas anderes wahrnehmen als Euren Duft und Euer Strahlen?«, sagte er etwas holprig. »Um Euch herum verliert die Welt an Glanz. Alles Gold und alles Geschmeide verblasst vor Eurer Schönheit …«
Sicher ein artiger Ritter, aber kein Dichter, dachte Miriam. Abram hatte seine Komplimente stets sehr viel geschliffener formuliert. Dem Mädchen dagegen schien es zu gefallen. Es errötete zwar, aber es suchte keine Fluchtmöglichkeit wie zuvor im Zelt des Königs. Im Gegenteil, es zwinkerte sogar unter gesenkten Lidern zu dem Ritter auf. Miriam lächelte, besann sich dann aber auf ihre Pflichten als Beschützerin. Freundlich, aber mit durchaus strenger Stimme, wandte sie sich an den Ritter.
»Salam, Herr Ritter!«, begrüßte sie ihn – schließlich spielte sie ihre Rolle als Maurin. »Das Fräulein ist sicher geschmeichelt. Aber ziemt es sich an einem christlichen Hof, das Wort an eine Dame zu richten, die man auf einem Pferdemarkt zum ersten Mal zu Gesicht bekommt? Und ihr dabei nicht mal den eigenen Namen und Rang zu nennen?«
Nun war es an Dietmar, flammend zu erröten, während Sophia zu seiner Verteidigung ansetzte.
»Herrin, er hat nicht … er wollte nur … mein Schepel …«
Dietmar verbeugte sich tief, vor ihr und vor der Maurin, aber es war nur Sophia, an die er das Wort richtete. »Verzeiht mir, Herrin! Eure Schönheit hat mich geblendet, ich war nicht bei mir, aber natürlich … natürlich könnt Ihr mir das nie vergeben … Also falls … wenn Ihr mir noch einmal … also falls ich noch einmal … Mein Name, edle Damen, ist Dietmar von Ornemünde. Ich bin Ritter des französischen Königs.«
Miriam wusste im selben Moment, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Über Sophias Gesicht jedoch huschte erneute Röte und ein sanftes Lächeln.
»Oh, Herr Dietmar! Natürlich verzeihe ich Euch. Und … und mehr als das, ich … also … womöglich können wir einander … miteinander ganz … ganz ungezwungen sprechen. Ich meine … womöglich sind wir sogar verwandt. Auch ich bin eine Ornemünde. Sophia … von Ornemünde zu Lauenstein.«
Kapitel 6
V erstehst du denn nicht, es ändert die ganze Sache!« Dietmar lief aufgeregt vor seinem Oheim hin und her. Was er eben erfahren – und anschließend überlegt – hatte, ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. »Wir brauchen nicht zu kämpfen! Ich werde Sophia einfach heiraten, und wir werden gemeinsam über Lauenstein herrschen! Dies ist eine göttliche Fügung. Ihr Vater wird …«
Rüdiger fasste sich an die Stirn. »Dietmar, denk einmal nach, bevor du redest … oder die Hohe Minne aus dir reden lässt, falls man das so ausdrückt unter Troubadouren und Großen Liebenden.«
Letzteres war ein Ehrentitel, den sich Ritter erwarben, die mit besonderer Leidenschaft für ihre Minnedame stritten. Dietmar bemerkte den Spott und blitzte seinen Oheim an, Rüdiger sprach jedoch ungerührt weiter.
»Ihr Vater wird den Teufel tun und seine Sophia ausgerechnet mit dir vermählen! Und dann …«
»Warum nicht?«, trumpfte Dietmar auf. »Ich bin von edelstem Blut, ich …«
»Eben«, meinte Rüdiger. »Du bist der wahre Erbe von Lauenstein. Dem dieser Roland das Lehen geraubt hat. Der Kerl wollte dich umbringen, Dietmar! Am Tode deines Vaters war er zwar nicht direkt beteiligt, aber ohne seine Intrigen wäre er vielleicht noch am Leben. Ganz abgesehen von dem Mordversuch bei seiner Schwertleite … Und nun glaubst du, er gibt dir kampflos den Schlüssel zur Burg?«
»Aber wenn ich doch seine Tochter … Wenn wir doch gemeinsam über Lauenstein herrschen …«
Rüdiger seufzte. »Du hast mit seiner Tochter gerade drei Sätze Artigkeiten getauscht. Wer weiß, ob sie dich überhaupt heiraten will. Aber wie auch immer, sie wird sowieso nicht gefragt. Und mit wem gemeinsam willst du über Lauenstein herrschen? Mit ihr oder mit Roland? Wach auf, Dietmar! Der Mann hat zwar eine fast heiratsfähige Tochter, aber er ist keineswegs ein Tattergreis. Du wirst ihn nachher kämpfen sehen, Roland von Ornemünde ist ein Ritter in den besten Jahren. Der kann noch zwanzig Jahre leben. Und das gedenkt er auf Lauenstein zu tun – als Burgherr, nicht auf dem Altenteil.«
»Aber er muss Sophia doch irgendwann verheiraten!«, rief Dietmar und
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