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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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dessen Reiter Rüdiger in den Staub getjostet hatte. Sein Oheim hatte ihm das Pferd zwar nicht genommen, sondern sich mit einer kleinen Ablösesumme zufriedengegeben, aber der junge Ritter war wohl doch zu dem Schluss gekommen, dass ihn das ungebärdige Tier überforderte.
    Und dann konnte Dietmar sein Glück kaum fassen. An einem Stand mit Maultieren, die ein jüdischer Händler feilhielt, standen die Maurin – und die Comtesse von Toulouse! Das junge Mädchen trug zwar einen grauen Mantel, der seine Gestalt vollständig verhüllte, aber Dietmar hätte es unter Tausenden wiedererkannt. Nun bewunderte es ein geschecktes Maultier – wobei ihm der voluminöse Schleier des Mantels wohl lästig war. Jedenfalls schob es ihn mit der Hand nach hinten und streifte sich damit den goldenen Reif ab, der sein Haar zuvor unter dem grünen Schleier zurückgehalten hatte. Das Mädchen bückte sich sofort danach, aber Dietmar war schneller und hob ihn auf. Ihre Blicke trafen sich, als beide sich wieder aufrichteten.
    »Herrin, Ihr … Ihr habt das hier verloren!«
    Dietmar stammelte die Worte, bevor ihn die Sprache wieder verließ. Sie war so wunderschön, erst recht jetzt, da ihr das Haar wie ein Schleier ins Gesicht fiel. Sie schob es mit einer raschen Bewegung nach hinten, als schäme sie sich dafür – und ließ auch gleich den Blick wieder sinken. Allerdings schien sie nicht recht zu wissen, was sie jetzt tun sollte. Den Schepel unter den Augen des Ritters wieder aufzusetzen, schien ihr wohl nicht schicklich, aber der Schleier verrutschte unter der Kapuze des seltsamen, wenig kleidsamen Mantels, den sie über ihren Feststaat geworfen hatte.
    »D … danke«, murmelte Sophia.
    Mehr brachte auch sie nicht heraus, sie hatte noch nie das Wort an einen so freundlichen jungen Ritter gerichtet. Auf Lauenstein hätte sie wahrscheinlich Schepel Schepel sein lassen und wäre geflohen. Und der Ritter hätte ihr zotige Worte nachgerufen, um sich dann damit zu begnügen, das Schmuckstück an sich zu nehmen und zu versetzen. Aber dieser Jüngling hier schaute sie nicht lüstern an, sondern … Sophia mochte es kaum glauben, aber sein Blick wirkte anbetend. Und er hatte sie schon einmal so angesehen … richtig, sie erinnerte sich an sein ernstes junges Gesicht vor dem Tjost. Sie hatte nicht anders gekonnt, als ihm zuzulächeln.
    Sophia errötete. Hoffentlich erinnerte er sich nicht daran, das war sicher schamlos. Aber … ja, in der Kirche hatte sie ihn auch gesehen. Ihre Blicke hatten sich einen Herzschlag lang getroffen, und sie hatte sich über das ungewöhnlich intensive Blau seiner Augen gewundert. Himmel, er musste sie für völlig unerzogen halten …
    Dietmar bemühte sich um Worte. Er war an einem Minnehof aufgewachsen! Er durfte der Herrin de Maricours keine Schande machen … obwohl er ihr andererseits natürlich untreu wurde, indem er … Der junge Ritter sah die Röte im Gesicht des jungen Mädchens und vergaß Madame de Maricours sofort.
    »Ich … ich muss Euch danken, dass ich Euch … dass ich Euch einen Dienst gewähren durfte und dass ich … dass ich die Luft atmen darf, die Ihr atmet und …«
    Eigentlich blieb Dietmar die Luft gerade weg. Aber dann geschah das Wunder. Das Mädchen lächelte.
    »Die Luft riecht ganz schön nach Pferd«, bemerkte es.
    Dietmar lächelte ebenfalls – wobei er hoffte, dass es nicht wie dümmliches Grinsen aussah.
    »Das stimmt nicht«, sagte er. »Um Euch herum duftet sie nach Rosenwasser und Sandelholz …«
    Das Parfüm der Maurin. Sophia errötete wieder. Hoffentlich fand er das jetzt nicht aufdringlich. Wenn einer der Ritter ihres Vaters … Aber dies hier war keiner der Gauner, die sich auf Burg Lauenstein sammelten. Dies war eher ein Ritter wie in den Geschichten vom Artushof.
    Sophia wusste nicht, was sie sagen sollte. Linkisch hielt sie immer noch den Schepel in der Hand. Und konnte nicht verhindern, den Blick zu heben, als der Ritter nicht gleich weitersprach. Das war sicher nicht schicklich. Aber diese Augen …
    Miriam, die sich eben noch für das Maultier interessiert hatte, bemerkte jetzt den Ritter im Gespräch mit ihrem Schützling. Er schwärmte Sophia offensichtlich an. Und über das zarte Gesicht des Mädchens zog sich schon wieder glühende Röte. Miriam hatte selten ein so schüchternes Geschöpf erlebt – zumindest nicht unter den Kaufmannstöchtern, mit denen sie ihre Kindheit verbracht hatte, und erst recht nicht unter den Frauen von Adel am Hof von Toulouse.

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