Das Erbe der Pilgerin
erfolgt. Der Graf will Amis de Dieu an seinem Hof …« Amis de Dieu, Freunde Gottes, oder Bonhommes, gute Menschen, waren die Bezeichnungen, welche die Albigenser sich selbst gaben. »Und das ist erfreulich. Vielleicht wird er sich ja bald zu unserem Glauben bekennen.«
»Graf Raymond?« Geneviève lachte bitter auf. »Das glaubst du doch selbst nicht! Der brauchte einen eigenen Priester für all die Sünden, die er ständig begeht! Und die Gräfin desgleichen mit ihrem Minnehof. Wobei ich noch einsehe, dass er Amis de Dieu unter seinen Rittern haben will. Irgendjemand muss uns ja verteidigen, Streiter aus unseren eigenen Reihen wechseln wenigstens nicht so schnell die Seiten.«
»Und halten vielleicht auch den Grafen davon ab«, seufzte Pierre de Montalban.
Raymond de Toulouses Wankelmütigkeit beunruhigte die Gemeinden seit Beginn des Kreuzzuges. Man ließ sich seine Treue einiges kosten, aber das verlangte den Albigensern keine sonderlichen Mühen ab, die Gemeinden waren reich.
»Obgleich es natürlich Sünde ist, Menschen zu töten. Auch Feinde …«
Geneviève biss sich auf die Lippen. Mit diesem Dilemma wurde sie schlecht fertig, und es mochte sein, dass sie das Consolamentum auch deshalb noch nicht erhalten hatte. Aber Geneviève war gerade neunzehn Jahre alt. Sie liebte ihren Glauben, und die Entbehrungen, die man ihr auferlegte, nahm sie mit Freuden auf sich. Sie mochte jedoch noch nicht sterben. Der Gedanke, freudig als Märtyrerin ins Feuer zu gehen, wenn man dem Ritter Simon de Montfort und seinen Kreuzfahrern in die Hände fiel, jagte ihr Schauer über den Rücken. Insofern begrüßte sie es auch, dass ihr Vater und seine Ritter im Auftrag des Grafen die Stadt verteidigten. Und dass ihr Bruder nun zur weiteren Ausbildung als Ritter an den Hof von Toulouse wechseln sollte. Auch wenn das zwangsläufig bedeutete, das Handwerk des Tötens zu erlernen. Geneviève spielte mit einer Strähne ihres dunklen Haars. Es war schwer, perfekt zu sein.
»Ich frage mich nur, was ich dabei soll! Ich bin kein minnigliches Mägdelein, das nur darauf brennt, den Troubadouren zu Füßen zu sitzen und die Kunst der höfischen Rede zu erlernen.« Wütend blitzte sie ihren Vater an.
Pierre seufzte. »Kind, so recht weiß ich das auch nicht. Aber der Graf hat dich gesehen, als er die Festung inspiziert hat, und du hast ihm gefallen.«
»Ich habe ihm … Du willst nicht sagen, du schickst mich wissentlich als seine Hure nach Toulouse?«
Eben hatte noch Wut in Genevièves Augen gestanden, jetzt war es pures Entsetzen.
Pierre de Montalban schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Der Graf mag sündige Gedanken hegen. Aber er wird dir nichts tun. Während du … schau, Geneviève, wir begrüßen deine Entsendung an den Hof doch gerade, weil du so mit ganzem Herzen hinter unserem Glauben stehst! Du wirst unerschütterlich treu bleiben – und du magst Einfluss ausüben.«
»Ich soll nicht wirklich die Gräfin bekehren!«, rief Geneviève. »Oder diese … diese Maurin, von der man spricht. Das ist ungeheuerlich, Vater! Ich dürfte es nicht einmal. Solange ich keine Parfaite bin, darf ich niemanden weihen, und allein als Frau sowieso nicht, ich …«
»Du kannst aber Augen und Ohren offen halten«, sagte der Burgvogt streng. »Du wirst erfahren, was vorgeht, wie die Stimmung ist. Geneviève, du kannst in dieser Stellung Leben retten! Wenn alles zusammenbricht, wenn der Graf überläuft – vielleicht können wir wenigstens die Parfaits in Sicherheit bringen.«
»Ihr braucht mich also als Spitzel?«, fragte Geneviève bitter.
»Wenn du es so nennen willst«, antwortete der Burgvogt steif.
Er kämpfte erneut sündige Gedanken nieder. Geneviève hatte den Grafen beeindruckt – er wollte sie an seinem Hof haben, und er würde um sie werben. Nicht gleich als siebte Gattin, aber doch … Wenn Geneviève es geschickt anstellte, wenn sie sich ihm am Ende gar hingäbe, die Gemeinden könnten mehr als nur ein bisschen Einfluss gewinnen. Aber das konnte er ihr natürlich nicht vorschlagen. Das wäre wirklich ungeheuerlich. Und dennoch – der Burgvogt dachte an all die Bauern und Handwerker, die Händler und Arbeiter, all die Menschen, die höchstens auf ihrem Sterbebett die Weihe zum Parfait erhalten würden. Wenn die Kreuzfahrer des Papstes sie niedermetzelten, so konnten sie niemals erlöst werden. Würde Gott es wirklich verdammen, wenn ein Mädchen seinen Körper einsetzte, um sie zu retten?
»Was auch immer du sagst,
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