Das Erbe der Pilgerin
war zweifellos auf dem Weg, ein passabler Ritter zu werden, aber nach Leonors fester Überzeugung war die Sache der Albigenser zum Scheitern verurteilt. Und das nicht nur, weil Gott seine Hand nicht über die Ketzer hielt.
Leonor bekreuzigte sich rasch bei dem Gedanken an ihre Häresie – es war auch militärisch auf Dauer kaum möglich, einem erklärten Kreuzzug des Papstes zu trotzen. Simon de Montfort, der die Kreuzfahrer anführte, hatte zwar sicher nicht die Blüte der abendländischen Ritterschaft um die Fahne des Papstes versammelt, aber sein Heer war groß, seine Männer gänzlich skrupellos, und es kamen ständig weitere nach. Die Albigenser hatten nur wenige eigene Kämpfer, und die Kontingente ihrer Unterstützer waren begrenzt. Leonor befürwortete es nicht, dass ihr Gatte den Ketzern Truppen stellte. Aber so tapfer die auch kämpften – irgendwann würden sie aufgerieben sein. Schon jetzt heuerten die Gemeinden im großen Stil ausländische Söldner an, um ihre Städte zu verteidigen. Wenn auch diese Möglichkeiten ausgeschöpft waren, würden sie fallen.
Der Gedanke an Flambert brachte die Gräfin auf das zweite junge Mädchen an ihrem Hof, das sie der Vermittlung ihres Gatten verdankte. Geneviève de Montalban. Wo war sie überhaupt? Wahrscheinlich wieder irgendwo versteckt – den Kopf über das Johannesevangelium gesenkt, das sie eigentlich schon auswendig können musste, so oft, wie sie es studierte. Manchmal lieh sie sich auch andere hochgeistige Schriften aus der Bibliothek des Grafen. Raymond ermutigte sie dazu. Dies war der einzige Gefallen, den sie von ihm annahm, obwohl er sie – Leonor biss sich auf die Lippen, aber sie konnte sich dem Gedanken nicht verwehren – umwarb wie ein verliebter Gockel. Geneviève verdankte ihren Platz am Hofe unzweifelhaft der Gunst des Grafen, wobei man ihr zugutehalten musste, dass sie ihn dabei nicht im Entferntesten ermutigte. Nach Leonors Ansicht war das im Übrigen das Einzige, was man dem Mädchen zugutehalten konnte.
Geneviève de Montalban war ein Störfaktor an Leonors Hof – und das nicht nur, weil ihr Gatte sich vor ihr zum Narren machte. Der Gräfin gefiel einfach ihr ständiger Unmut nicht, ihr Missfallen an allem, womit sich ihr Hof beschäftigte, und ihre offensichtliche Langeweile. Dabei gab es selten Grund, sie zu schelten. Geneviève tat alles, was man ihr auftrug, wenn es nicht allzu sehr gegen die Regeln ihrer Religion verstieß. Sie wollte nichts lernen, aber wenn Leonor ehrlich sein sollte, so gab es auch kaum etwas, das sie dem Mädchen noch beibringen konnte. Geneviève war hochgebildet, sie konnte lesen und schreiben, sprach Latein und Griechisch wie ein Geistlicher und verstand es, einen Haushalt zu leiten und die Bücher zu führen. Sie hielt Musik und Gesang für weltlich und sündig, aber wenn man es von ihr verlangte, so spielte sie gefällig die Laute und sang mit klangvoller Stimme.
Die Montalban-Kinder mussten gute Lehrer gehabt haben, auch Flambert war ein begabter Troubadour. Überhaupt verfügten sowohl der junge Ritter als auch das Mädchen über eine ordentliche höfische Erziehung. Geneviève konnte reiten – lehnte allerdings die Falknerei ab. Als Parfaite der Bonhommes war es ihr verboten, Tiere zu töten. Sie verstand sich auf Handarbeiten jeder Art – auch wenn sie kein Vergnügen daran zu finden schien. Tanz, schöne Kleidung und gutes Essen waren ihr zuwider, ganz abgesehen von der Tändelei mit jungen Rittern!
Geneviève behandelte die Männer in ihrer Umgebung höflich und zuvorkommend, ließ sich aber auf kein Gespräch ein, das nicht absolut notwendig war. Wenn Leonor sie dazu zwang, ihre Gesellschaften zu besuchen, sprach sie allenfalls mal mit einem Troubadour – und dann stellte sich grundsätzlich irgendwann heraus, dass er ihrem Glauben anhing, und die Unterhaltung sich nur darum gedreht hatte, wie der Ritter mittels seiner Verse hilfreich für die Sache der Amis de Dieu sein konnte. Die Gräfin verstand es nicht ganz, aber trotz der Strenge und Lebensfeindlichkeit ihres Glaubens fanden sich viele begnadete Sänger und Musiker unter den Häretikern. Vielleicht, weil sie doch in erster Linie lebensfrohe Südfranzosen und dann erst tugendhafte Bonhommes waren. Mit wenigen Ausnahmen – und ausgerechnet eine solche Fanatikerin hatte Raymond an Leonors Hof bringen müssen! Wenn das Mädchen unbedingt eine Art Nonne werden wollte, warum hatte er es nicht in Gottes Namen dabei belassen können?
Leonor
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