Das Erbe der Pilgerin
kam und den ich nach Herrn Rüdiger und Herrn Dietmar befragte. Das könntet Ihr auch selbst tun, wenn Ihr nicht so schüchtern wäret. Die Ritter hier tun Euch doch nichts, die Herrin Leonor betreut ihren Hof gut. Seit ich hier bin, ist es nie zu irgendwelchen Übergriffen kraftstrotzender Herren gegenüber ihren Mädchen gekommen.«
Sophia errötete. »Ich weiß, Herrin. Aber ich … ich kann es nicht leiden, wenn sie mich so ansehen … so als wäre ich ein Schwan, hergerichtet zum Verzehr beim Bankett.«
Miriam lachte. »Kein schlechter Vergleich«, bemerkte sie.
Sophia fand das nicht komisch. »Und dieser Herr Mathieu – er macht mir Angst. Da ist etwas in seinen Augen, das … Ich glaube nicht, dass er sich auf Dauer damit begnügen wird, mir höfische Lieder zu singen. Er hat keine Geduld, es brennt in seinen Augen … Herrin, ich kenne diesen Blick. Den haben die Männer, bevor sie eine Magd in die Büsche zerren. Und ich weiß nicht, ob Mathieu de Merenge vor einem Edelfräulein haltmacht.«
Kapitel 5
W ie sich herausstellte, brauchte Geneviève am nächsten Tag keinen Schutz vor den Nachstellungen des Grafen. Am Abend trafen unerwartet Ritter ein, die sich als Eskorte des Königs von Aragón entpuppten. Peter, Leonors Bruder, befand sich auf dem Rückweg aus Carcassonne, eine Stadt, die im Zuge des Albigenser-Kreuzzuges bereits erobert worden war. Sie war von den Kreuzfahrern besetzt und bildete seit über einem Jahr den Stützpunkt der Truppen um Simon de Montfort. Von Carcassonne aus wurden Angriffe auf andere Städte und Festungen in Okzitanien geplant und durchgeführt. Vor allem aber beanspruchte Montfort das Gebiet von Carcassonne und Béziers als sein Lehen – vergeben von einem päpstlichen Legaten. Peter von Aragón war äußerst erbost gewesen, als er davon hörte. Zu Recht gehörten die Ländereien nämlich ihm – das Lehen lag seit Generationen in der Hand einer Familie namens Trencavel, deren Erbe am Hof König Peters aufwuchs. Die Trencavels waren keineswegs Albigenser und hatten sich auch nie auf Seiten der Ketzer gestellt. Montfort und der Papst hatten also weder das Recht gehabt, sie zu vertreiben, noch sich Peters Gebiete anzueignen. Der Kreuzzug, so argumentierte der König, richte sich gegen Ketzer, nicht gegen Okzitanien. Montfort mochte eine gewisse Legitimation haben, Parfaits auf einem Scheiterhaufen brennen zu lassen, aber nicht die Landstriche zu verwüsten, in denen sie wohnten. Von der Enteignung kirchentreuer Monarchen ganz zu schweigen.
Nun mochte Peter es sich natürlich nicht gleich völlig mit der Kirche verderben – zumal er sich mit dem Papst sehr gut verstand. Er hatte einen anderen Kreuzzug gegen die Mauren in Las Navas de Tolosa erfolgreich beendet. Peter versuchte es also zunächst mit Verhandlungen, wozu er Montfort in Carcassonne aufsuchte; doch Montfort ließ sie scheitern.
So ritt der junge König jetzt wutentbrannt in die Burg seines Schwagers Raymond de Toulouse ein. Bislang hatte er dessen Unterstützung für die Albigenser nicht befürwortet. Aber nun schien er drauf und dran, seinerseits das Schwert zu ergreifen. Die Männer begannen sofort mit den entsprechenden Verhandlungen.
»Ich hätte ja ein bisschen auf Euch aufgepasst«, meinte Miriam bedauernd zu Sophia, als das Mädchen im Hof sein Pferd bestieg, auf dessen Sattelknauf bereits der Falke saß. Der Graf würde die Jagd nicht mitreiten, aber Leonor hatte Miriam erklärt, dass sie keinen Grund sah, darauf zu verzichten. Ihren Bruder wollte sie am Abend beim Bankett ausgiebig sprechen – im Moment musste er ohnehin erst Wut ablassen, und dazu brauchte er nur ihren Mann als gleichgesinnten Zuhörer samt ein paar Bechern guten Weines. »Aber der Graf möchte, dass ich bei der Beratung mit dem König anwesend bin. Ich soll gleich die Sterne befragen, wenn sie zu einer Einigung gelangen. Sie werden wohl gemeinsam gegen Montfort in den Krieg ziehen.«
»Jetzt stehen doch gar keine Sterne am Himmel«, wandte Sophia ein.
Ihr Pferd tänzelte ein bisschen, als sie im Seitsitz auf das Sattelkissen glitt, das einen zwar sehr zierlichen, aber nicht sonderlich sicheren Reitstil erlaubte. Eigentlich sollten nur außerordentlich gelassene Pferde von Damen geritten werden, aber Sophia hatte sich die kleine Stute erbeten, weil sie ihre Sensibilität mochte. Grandezza brauchte man nicht anzutreiben wie manch anderes Pferd aus den Ställen der Gräfin. Es fiel dann nicht so auf, dass Sophia das Reiten noch
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