Das Erbe der Pilgerin
gegangen war. »Wie kann sie nur glauben, dass ein Gebet vor einer jahrhundertealten Gallenblase die Fruchtbarkeit ihres Körpers erhöht?«, fragte sie, ohne sich an irgendjemanden im Besonderen zu wenden.
Miriam lächelte. »Nach Eurem Glauben, Geneviève, sind ihr Körper und Perpetuas Gallenblase gleichermaßen sündig, und wenn es dem Teufel, der beides geschaffen hat, gefällt, dann lässt er auch neues Leben in ihr entstehen. Wobei Ihr ja meint, dass da erst mal ein Dämon in ihrem Leib heranwächst, der dann aber doch irgendwie an eine menschliche Seele kommt, die …«
»Spottet nicht!«, fuhr Geneviève auf, als Sophia auch noch zu kichern begann. Die Glaubensinhalte der Albigenser erschienen ihr deutlich absurder als die Heilkraft der heiligen Perpetua. »Ihr wisst nicht, wovon Ihr sprecht!«
Miriam lachte. »Ich wiederhole nur Eure eigenen Ausführungen, die Predigten Eurer Parfaits zu Schwangerschaft und Geburt. Also ärgert mich nicht, Geneviève, sonst reite ich morgen nicht mit zur Falkenjagd, und dann hält Euch keiner den Grafen vom Leib.«
Geneviève seufzte.
Sophia dagegen wusste nicht recht, ob sie sich auf den Ausflug freuen oder sich davor fürchten sollte. Sie ritt nicht gut, aber gern und besuchte ihr Falkenweibchen jeden Tag. Sie hoffte, bei der nächsten Jagd damit glänzen zu können. Aber andererseits war bei diesen Jagden der halbe Hof zugegen, die Ritter gesellten sich zu den Damen, und es würde kaum möglich sein, dem Herrn Mathieu zu entkommen. Beim letzten Mal hatte Sophia das versucht, indem sie die Gesellschaft von Genevièves Bruder suchte, und tatsächlich hatte Herr Flambert sie in seiner freundlichen Art unbeschadet durch den Tag geleitet. Aber dann hatte Geneviève mit Sophia geschimpft, weil sie ihren Bruder zur Sünde verleitete. Sophia wusste nicht recht, ob die Tötung eines Hasen durch Flamberts Falken oder sein Gespräch mit Sophia von der jungen Albigenserin als schlimmer gewertet wurde.
Ganz entschieden dramatischer gestaltete sich jedoch die Rache des Herrn Mathieu. Er hatte Flambert gleich am nächsten Tag bei den Übungen der Ritter herausgefordert und ihn mit voller Kraft bekämpft. Mit den Übungswaffen konnte er ihn zwar kaum töten, aber Flambert hatte so schwere Prellungen und Platzwunden davongetragen, dass er sich zwei Tage lang nicht von seinem Lager erheben konnte. Geneviève hatte sogar darüber nachgedacht, einen Medikus aus Montalban kommen zu lassen, aber dann hatte er sich doch erholt. Noch einmal wollte Sophia nichts Vergleichbares riskieren. Mathieu war einer der stärksten Ritter des Hofes, und Flambert hatte gerade erst seine Schwertleite gefeiert. Auf keinen Fall wollte sie schuld daran sein, dass er sich womöglich beim Tjost das Genick brach oder dass Mathieus Holzschwert »rein zufällig« in Flamberts Auge drang … Genevièves Idee, sich hinter einer weiblichen Begleitung zu verstecken, erschien ihr da weniger gefährlich.
»Und womöglich ist auch noch die Gräfin unpässlich und kann morgen nicht mitreiten«, stichelte die Maurin weiter. »Ihr solltet wirklich nett zu mir sein, Geneviève. Dann werde ich dem Grafen obendrein einreden, die Sterne stünden an den Nachmittagen besonders günstig für eine Empfängnis seiner Gattin.«
Am Nachmittag öffnete die Gräfin ihren Garten meist für Besuche der Ritter, und der Graf schaute fast täglich vorbei, um mit Geneviève zu flirten.
»Ihr braucht nicht für mich zu lügen«, sagte die Albigenserin steif und wandte sich ab.
Die Maurin verdrehte die Augen, als sie gegangen war. »Ich fürchte, ich hab’s heute zu weit getrieben«, meinte sie dann Sophia gegenüber. »Aber manchmal reizt sie mich einfach bis aufs Blut. Eine so schöne und kluge junge Frau – aber sie schreit danach, irgendwann auf einem Marktplatz verbrannt zu werden. Dabei ist sie gar nicht so ein Lämmchen wie die meisten anderen dieser Parfaits. Geneviève streitet ganz gern, auch wenn sie’s nicht zugibt.«
Sophia lächelte, aber Miriam merkte sofort, dass sich dahinter auch Sorgen verbargen.
»Und was ist mit Euch, Kleines?«, fragte sie freundlich. »Immer noch Liebeskummer? Ich hörte, der junge Dietmar streite ganz tapfer im Heer des französischen Königs. Und trüge immer noch Euer Zeichen an der Lanze.«
»Wirklich?« Sophias Augen leuchteten auf. »Woher wisst Ihr das, Herrin? Verraten es Euch die Sterne?«
Miriam verdrehte die Augen. »Das sagte mir ein Fahrender Ritter, der eben vom Hof des Königs
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