Das Erbe der Pilgerin
Sonntagsruhe konnte zur Exkommunikation des Aggressors führen.
Dietmar grinste. »Herr Rüdiger vertraut da fest auf unseren Bischof von Senlis …«
Der Ritter lachte trocken. »Ich würde nicht dagegen wetten. Aber warten wir ab. Schlimmstenfalls stehen wir uns bis morgen tatenlos gegenüber.«
Der Aufmarsch der Heere war dann gegen Mittag beendet – König Philipps Fußvolk war rechtzeitig zurück. Seine Fußtruppen waren denen des Kaisers jedoch zahlenmäßig stark unterlegen, während sich die Zahl der berittenen Kämpfer annähernd ausglich. Etwa viertausend Ritter und berittene Knechte standen einander gegenüber, als die Sonne den Zenit erreichte. Dietmar und Rüdiger befanden sich als Ritter aus dem Haushalt des Königs in Philipps Nähe und damit im Zentrum des Heeres.
»Hoffentlich kommen wir hier wenigstens richtig zum Zuge«, murmelte Dietmar.
Sehr oft blieb der König eher im Hintergrund einer Schlacht, da niemand es wagte, ihn anzugreifen. Und an diesem Tag schien sich die Spannung auch zunächst auf dem rechten Flügel des Heeres zu entladen. Bevor der König noch Befehl zum Angriff gegeben hatte, kam es dort zu einem Ausfall.
Rüdiger erkannte grinsend das Banner des Bischofs von Senlis, das den Reitern voranflatterte, und dann hörte man auch Gefechtslärm. Weitere Ritter stürzten sich in den Kampf.
Der König schaute etwas irritiert auf die kleine Streitmacht seines geistlichen Gefolgsmanns, die eben die ersten Gefangenen machte. Dann hob er den Arm. Der Reiter, dem die Ehre zufiel, die Oriflamme, die Kriegsflagge der Franzosen, in die Schlacht zu tragen, setzte sein Pferd in Galopp.
»Angriff! Für Frankreich, für den König, für die Ehre der Ritterschaft!«
Die Franzosen ritten auf breiter Front an, ebenso das Heer des Kaisers. An diesem Tag sollte jedes Schwert Blut schmecken.
»Für Sophia von Ornemünde!«, brüllte Dietmar den Namen seiner Dame hinaus und tastete noch einmal kurz nach ihrem Zeichen.
Und dann dachte und fühlte er nichts mehr außer den jagenden Hufen seines Pferdes unter ihm und den Aufprall der gegnerischen Lanze.
Kapitel 4
L eonor, die Gräfin von Toulouse, sah von ihrer Stickerei auf, als die Lautenspielerin einen falschen Akkord griff.
»Dies sollte ein C sein, liebes Kind, kein G. Aber sonst sehr schön, versuch es noch einmal.«
Sophia von Ornemünde errötete und murmelte eine Entschuldigung, bevor sie von Neuem begann. Die Gräfin lächelte ihr ermutigend zu.
Leonor hatte sich an diesem Morgen nicht wohlgefühlt und verbrachte den sonnigen Vormittag deshalb lieber in ihrem Rosengarten, als mit ihren Mädchen den Rittern beim Kampfspiel zuzuschauen. Und wie immer, wenn sich diese Möglichkeit bot, hatten sich auch Sophia und Geneviève, ihre neuen Hofdamen, um den Ritt zur Übungsbahn gedrückt – wobei Sophia das Angebot, der Gräfin Gesellschaft zu leisten, wenigstens ernst nahm. Sie bot einen hübschen Anblick, wie sie hier neben Leonor saß und sich im Lautenspiel übte. Überhaupt fand die Gräfin immer mehr Gefallen an dem blonden Burgfräulein aus Franken, das sie zunächst eher widerwillig aufgenommen hatte. Sophia hatte sich gut eingelebt und machte keine Schwierigkeiten. Die meisten der höfischen Vergnügungen, mit denen die Damen hier den Tag verbrachten, schienen ihr Freude zu bereiten. Sophia ritt nicht gut, und die Falknerei war ihr gänzlich neu, aber sie liebte Tiere und widmete sich mit Eifer der Aufgabe, die nötigen Fertigkeiten im Umgang mit ihnen zu erlernen.
Das galt auch für das Lautenspiel und das Schmieden von Versen – in der Heimat hatte das junge Mädchen wohl keine Lehrer gehabt, die seine hübsche Singstimme formten, aber hier machte es rasche Fortschritte. Sophia verstand sich auch auf alle Obliegenheiten einer Hausfrau. Sie konnte rechnen und nähen, verstand sich auf das Zuschneiden und Fertigen von Kleidern und auch auf dekorative Stickereien. Das alles passte zu dem, was Leonors Gatte über die Herkunft Sophias erzählt hatte – und noch mehr dazu, was Leonor selbst später über die Herren von Lauenstein erfuhr. Eine noble Abstammung, eine schöne Burg in einer reichen Grafschaft – aber ein Leben als Verfemte in einem Haushalt, der nie von Troubadouren besucht wurde und dem man keine Gleichaltrigen zur gemeinsamen Erziehung mit der Erbin schickte. Keine Hofdamen, keine Ausritte und Falkenjagden – und offensichtlich nicht gerade die minniglichste Ritterschaft.
Auf Letzteres schloss Leonor aus Sophias
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