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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Verhalten – das Mädchen war auffällig scheu und zurückhaltend, es versuchte, sich der Gesellschaft von Rittern so oft wie möglich zu entziehen und deutete selbst die bewunderndsten Blicke der jungen Herren und ihre höflichsten Versuche zur Annäherung als lüstern und zudringlich. Der Minnehof, in dem beide Geschlechter recht frei miteinander umgingen, machte ihm Angst. Sophia war wohl das einzige unter Leonors Mädchen, das man nie auf die Notwendigkeit einer Anstandsdame hinweisen musste. Im Rosengarten oder bei Banketten im großen Saal suchte sie ängstlich die Nähe zu Leonor, zu der Maurin, mit der sie sich wohl schon in Mainz angefreundet hatte – oder doch wenigstens zu Geneviève oder einem der jüngeren Mädchen. Kaum zu glauben, dass es da in Mainz eine Art Skandal um die Kleine gegeben haben sollte. Jedenfalls hatte Raymond etwas von einer unpassenden Liebelei angedeutet, und manchmal starrte Sophia tatsächlich verträumt in die Luft, wenn ein Troubadour die Minne besonders innig besang.
    In Toulouse jedenfalls ließ ihr Verhalten keine Wünsche offen – auch was ihren Gatten anbetraf, machte sich Leonor längst keine Sorgen mehr in Bezug auf Sophia. Der Graf sah das Mädchen zwar sicher gern an, aber er schien es wohl wirklich eher um seines Vaters willen aufgenommen zu haben, denn in der Hoffnung auf fleischliche Genüsse in den Armen der zierlichen Schönheit. Und so gesehen war das Arrangement auch durchaus weise: Am Hof von Toulouse hatte man wenig Interesse an Erbstreitigkeiten rund um eine Burg in Franken.
    Natürlich wurde ein bisschen über Sophia getuschelt – die Eltern der anderen Mädchen fanden sehr schnell heraus, dass die neue Gespielin ihrer Töchter aus anrüchigen Verhältnissen kam. Aber andererseits setzte sich auch der Graf von Toulouse oft genug über Anordnungen von König und Kirche hinweg, und die Väter der meisten Mädchen am Hof waren seine Vasallen. Keiner von ihnen hätte es sich mit Raymond verderben wollen, indem er Beschwerde über die Aufnahme Sophias erhob. Und den Rittern war die Sache sowieso egal. Sie hofierten Sophia ob ihrer außergewöhnlichen Schönheit willen – ihre Geschichte empfanden die Fahrenden unter ihnen sogar als zusätzlichen Anreiz. Jeder der Männer hätte Roland von Ornemünde sofort seine Kampfkraft zur Verfügung gestellt, hätte er dafür Hoffnung auf die Hand der Erbin und die Aussicht auf das Lehen hegen dürfen. Und die reichen jungen Ritter am Hof, auf die ein mehr oder weniger großes Erbe im Süden Frankreichs wartete, dachten nur an Sophias Schönheit und Tugend. Sofern ihre Väter nicht gerade die Erbin der Nachbarburg als Gattin für sie ins Auge gefasst hatten, würden diese das kluge, bildschöne Mädchen gern als Schwiegertochter willkommen heißen – falls der Graf von Toulouse die Verbindung protegierte.
    Leonor dachte vor allem an den jungen Mathieu de Merenge. Der Ritter schien sich an Sophia kaum sattsehen zu können. Er hofierte sie nach allen Regeln der Kunst, und Raymond befürwortete das offenbar. Leonor wäre bereit gewesen, die Werbung des Ritters um ihren Zögling wohlwollend zu betrachten, aber leider schien Sophia Mathieus Zuneigung in keinster Weise zu erwidern. Tatsächlich war sie ständig auf der Flucht vor ihm – Mathieu fing es wohl falsch an. Wenn überhaupt, so würde Sophia nur auf eine sanfte, zurückhaltende Werbung eingehen. Geduld gehörte jedoch nicht zu Mathieus Stärken. Der Ritter strotzte vor Selbstbewusstsein und neigte dazu, Sophia immer wieder mit seinen Avancen zu überfallen. Er begriff nicht, dass er dem Mädchen damit eher Angst machte, als es für sich einzunehmen.
    Sophia hatte das Lied inzwischen noch einmal gesungen und diesmal richtig gespielt. Ihr schönes, aristokratisches Gesicht strahlte, als die Gräfin sie dafür lobte.
    »Ich darf mich heute Nachmittag keinesfalls verspielen!«, meinte das Mädchen eifrig. »Habe ich doch Herrn Flambert versprochen, es ihm vorzusingen. Er hat das Lied selbst verfasst, wisst Ihr? Für mich, sagt er …«
    Über Sophias Gesicht zog wie so oft leichte Röte, als könne sie gar nicht verstehen, dass sich ein Ritter die Mühe machte, Verse für sie zu schmieden. Flambert de Montalban, der Albigenser-Ritter, schien jedenfalls mehr Chancen bei Sophia zu haben als Herr Mathieu. Wenngleich das Mädchen auch ihn nicht ermutigte – und eine solche Verbindung ganz sicher nicht das wäre, was Raymond und Sophias Vater für sie vorschwebte! Flambert

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