Das Erbe der Pilgerin
würdevoll. »Sofern es noch etwas sagen kann. Betet zu Gott, dass Ihr es nicht in den Tod getrieben habt, Herr Ritter! Und dass es nichts zu berichten gibt, das Euch Eurer Ritterehre verlustig gehen lässt. Ich werde hier keine Milde walten lassen, Herr Mathieu, und ebenso wenig mein Gatte und mein Bruder …«
Vergewaltigungen führten nach Recht und Gesetz zur Degradierung eines Ritters, auch wenn die Regel in der Praxis fast nie zur Anwendung kam. Im Krieg war die Schändung der Frauen des Feindes gang und gäbe. Und auch, wenn ein Ritter in betrunkenem Zustand über eine Magd herfiel, pflegte sich kaum einer darum zu scheren. Aber wenn es wie hier den Schützling eines Grafen traf, ein Mädchen in der Obhut eines großen Hofes, der ihre Sicherheit gewährleisten sollte …
Wenn Sophia lebend gefunden wurde, lag Mathieus Ehre in ihrer Hand.
Die Wälder waren riesig, und die Suche nach dem Mädchen gestaltete sich sehr schwierig. Falkner und Jagdgehilfen waren für eine Fährtensuche ebenso wenig ausgebildet wie Ritter. Dazu glichen sich die Hufspuren der kleinen Zelterinnen der Damen, Sophias Weg auf die Lichtung zu verfolgen, war nahezu unmöglich. Wenn nicht ein Wunder geschah, konnte es dunkel werden, bevor das Mädchen gefunden war – und wenn es verletzt war, mochte es die Nacht nicht überleben.
Es war Flambert, der von allen Suchenden wohl mit dem meisten Herzblut dabei war. Der junge Albigenser liebte Sophia. Er war ihrer Schönheit verfallen, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte – dem Strahlen ihrer Augen, dem vorsichtigen Lächeln auf ihren Lippen, ihrer sanften Stimme –, und er bewunderte ihre Tugend und Zurückhaltung. Nichts machte Flambert glücklicher, als Lieder für Sophia zu dichten, er war bisher jedoch zu scheu gewesen, ihr darin seine Liebe zu gestehen. Lieber schrieb er harmlose Weisen über die Schönheit der Natur, der Sonne und der Sterne, die das Mädchen selbst leicht nachspielen und vortragen konnte. Flambert verging vor Seligkeit und Verlangen, wenn Sophia traulich bei ihm saß und sich die Griffe erklären ließ. Er unterrichtete sie im Lautenspiel und freute sich ehrlich über ihre Fortschritte. Dabei wusste er genau, dass er das Mädchen niemals besitzen würde – es war Flamberts Bestimmung, für seinen Glauben zu kämpfen und zu sterben.
Natürlich bot König Peters mögliche Beteiligung am Abwehrkampf einen kleinen Hoffnungsschimmer. Aber letztlich konnten sich die Albigenser dem Willen des Papstes nicht widersetzen. Sie würden konvertieren müssen – sofern man ihnen die Möglichkeit einräumte, was unter Simon de Montfort nicht die Regel war – oder sterben. Und Flambert wollte Sophia auf keinen Fall da mit hineinziehen. Wäre das Mädchen Albigenserin gewesen, so hätte er um sie geworben, aber sie von seinem Glauben zu überzeugen, wie Geneviève es seit Monaten versuchte, konnte er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Der Albigenser konnte nicht glauben, dass ein so schöner Körper wie der Sophias nur ein sündiges Gefäß für eine gefangene Seele war. Er wünschte dem Mädchen ein langes Leben, und er konnte sich nicht vorstellen, dass Gott es anschließend auf immer verdammte.
Aber nun bestand die Gefahr, dass Sophias Leben noch kürzer währte als das seine – wollte Gott ihn damit strafen? Wollte er ihm vor Augen führen, wie töricht und sündhaft seine Anbetung gewesen war? Flambert betete mit aller Kraft seiner Seele und allem Feuer seines Herzens. Er musste Sophia finden. Kein Gott konnte so grausam sein.
Die vierte oder fünfte Stunde streifte er nun schon ziellos durch den Wald. Die Dämmerung zog bereits auf, und Flamberts Hoffnung schwand mit jedem Schritt seines Pferdes. Doch dann plötzlich hörte er ein heiseres Kläffen. Der junge Ritter erkannte Lindo, einen der Jagdhunde der Gräfin. Das Tier war Sophias Liebling, seit es einige Wochen zuvor gebissen worden war und eine Kehlkopfverletzung davongetragen hatte. Die Gräfin und Sophia hatten den Hund gesund gepflegt – lediglich seine Stimme hatte gelitten. Man musste Lindo schon recht nahe kommen, um sein Bellen zu hören. War das Tier Sophia nachgelaufen? Einer der Jäger hatte beiläufig erwähnt, dass auch einer der Jagdhunde noch fehle. Flambert hatte an ein junges Tier gedacht, das sich vielleicht verlaufen hatte und dann nach Hause gegangen war. Wenn es jedoch Lindo war …
Er betete, dass der Hund nicht aufhörte zu kläffen, bis er ihn fand. Der junge Troubadour hatte ein
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