Das Erbe der Pilgerin
gutes Gehör, es gelang ihm leicht, das Tier nach dem Bellen zu orten. Aber dann blieb sein Herz fast stehen, als er den Hund endlich erreichte. Lindo sprang aufgeregt um Sophia herum – die leblos am Boden lag.
»Sophia!«
Flambert sprang vom Pferd, rannte zu ihr und nahm sie in die Arme. Sophia reagierte nicht, aber ihr Körper war noch warm, und ihr Herz schlug! Aus einer Platzwunde am Kopf lief Blut. Auch Sophias schönes Haar war blutverklebt, aber es gerann bereits, sicher bestand nicht die Gefahr des Verblutens. Flambert wollte das Mädchen am liebsten schütteln, um es aus seiner Bewusstlosigkeit zu holen, entschied dann aber, es nicht zu bewegen. Der Medikus bestand bei Kopfverletzungen immer auf vollkommene Ruhe seines Patienten. Zweifellos war es jetzt das Wichtigste, Sophia warm zu halten. Der junge Ritter wickelte das Mädchen vorsichtig in seinen Mantel, um es zu wärmen. Er musste es irgendwie zum Treffpunkt der Jäger bringen. Zur Burg konnte es von dort aus auf einer Trage gebracht werden.
Von einem Baumstamm aus schwang er sich mit Sophia in den Armen auf sein Pferd, das zum Glück brav und gelassen ausschritt, ohne dass er stark mit den Zügeln einwirken musste. Flambert rief Lindo, der sich dem Reiter gleich anschloss, und sprach dann sanft auf das Mädchen ein, während sein Ross sich seinen Weg suchte. Trotz all seiner Angst um Sophia war er beinahe glücklich. Es war unendlich schön, ihren schlanken, warmen Körper im Arm zu halten. Flambert beugte sich über sie, um ihren Atem zu spüren – und schließlich küsste er ihre blassen Wangen, kurz bevor der Rastplatz der Jäger in Sicht kam.
»Ich liebe dich, Sophia!«, flüsterte er. »Ich würde alles für dich tun!«
Natürlich gab es nichts mehr, was Flambert für das Mädchen tun konnte, nachdem er die Jagdgesellschaft erreicht hatte.
Zwei Ritter nahmen ihm Sophia aus den Armen, und die Gräfin riss ihre Pflege und Versorgung sogleich an sich. Sie klopfte ihre Wangen und flößte ihr Wein ein, was Geneviève mit Sorge betrachtete. Schließlich wandte sie sich an ihren Bruder.
»Flambert, ich weiß nicht, wie ernst es um Sophia steht, aber ich fürchte, das weiß sonst auch niemand in Toulouse. Wir können nicht viel mehr für sie tun, als sie zu Bett zu bringen und abzuwarten, und das erscheint mir ziemlich wenig. Wenn du jedoch gleich losreitest nach Montalban, dann könnte der Medikus morgen Mittag hier sein. Geht es ihr bis dahin besser, so haben wir ihn umsonst bemüht. Aber wenn wir abwarten, bis es ihr schlechter geht, stirbt sie uns womöglich unter der Hand.«
Flambert nickte ernst. Natürlich verließ er Sophia nur ungern, sein ganzes Sehnen zielte darauf, bei ihr zu sitzen und ihre Hand zu halten. Aber Geneviève hatte natürlich Recht – wie fast immer, sie war erstaunlich vernünftig und geschickt für eine Parfaite. Die meisten Initiierten pflegten nicht viel mehr zu tun, als zu beten und zu fasten.
»Ich müsste erst den Grafen um Erlaubnis bitten«, wandte er ein, aber Geneviève schüttelte den Kopf. »Der wird nicht gleich morgen früh in den Krieg ziehen«, beschied sie ihren Bruder. »Ich regle das mit der Gräfin – und wenn du die Nacht durchreitest, bist du morgen früh schon fast wieder da.«
Flambert warf noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf Sophia, die man auf eine Trage gebettet hatte. Die Gräfin wusch ihr das Blut aus dem Haar – die Wunde sah nicht besorgniserregend aus.
»Ich fliege!«, sagte er dann zu Geneviève und schwang sich erneut auf sein Pferd.
Flambert wollte nur schnell weg, bevor seine Schwester ihn noch darauf ansprach, wie er Sophia angesehen hatte! Er musste sich besser verstellen. Niemand durfte wissen, wie sehr er das Mädchen liebte.
Sophia hatte das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt, als die Jagdgesellschaft die Burg erreichte. Geneviève und die Maurin kümmerten sich um sie, während die Gräfin ihrem Mann Bericht erstattete. Graf Raymond war wie erwartet äußerst erbost. Er war ein Frauenheld, und sicher behandelte er seine Liebschaften nicht immer wie ein treusorgender Mann. Aber einem Mädchen gegen seinen Willen zu nahetreten? Noch dazu seinem speziellen Schützling? Dazu kam, dass der Unfall seine Tagesplanung durcheinanderwarf. Am Abend war ein großes Bankett angesagt gewesen, um den Besuch seines königlichen Schwagers zu feiern. Aber nun kehrte seine Frau erst nach dem Dunkelwerden zurück, nichts war richtig vorbereitet. Die Mädchen seines Hofes
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