Das Erbe der Pilgerin
die Schlacht, und dann gab König Philipp den Befehl zum Angriff. Zunächst stürmten im Zentrum die Fußsoldaten aufeinander los, wir Ritter kamen kaum durch ihre Reihen, zumindest Dietmar und Han … Herrn Jean … gelang das nicht sofort. Ich dagegen sah eine Lücke und sprengte hindurch. So entging mir die infame Strategie Kaiser Ottos – der ließ nämlich all seine Knechte voranstürmen, mit ganzer Kraft gegen unseren König. Man rechnet ja eigentlich damit, dass sich den höchsten Herren die ranghöchsten Ritter zum Kampf stellen, aber hier stürmten sächsische Bauern wie die Berserker mit Lanzen und Eisenhaken auf den König ein, während die Ritter noch versuchten, sich zu ihresgleichen vorzukämpfen. Schließlich ist es eines Ritters kaum würdig, fast unbewaffnete Bauernlümmel abzuschlachten. So reagierten alle zu spät, und es gelang den Sachsen, den König vom Pferd zu zerren!«
»Was?«, fragte Gerlin verblüfft.
Rüdiger nickte bestätigend. »Alle waren zu weit weg – Guillaume des Barres hatte mit seinen Rittern einen Schutzwall vor dem König gebildet, aber der richtete sich doch gegen Ritter, nicht gegen diesen Schwarm sächsischen Ungeziefers. Keiner unserer Ritter war in der Nähe des Königs – außer Dietmar und Han … wollte sagen Herr Jean. Verzeih mir, Hansi, aber daran muss ich mich erst gewöhnen.«
Hansi grinste über sein ganzes rundes Gesicht. »Ich nehm’s nicht übel, Rüdiger«, meinte er mit vollem Mund. Er war der Einzige, der bislang das Essen anrührte, das der Mundschenk gebracht hatte. »Kannst auch weiter Du zu mir sagen!«
Rüdiger verbeugte sich gespielt. »Welche Gnade, Herr Jean … Jedenfalls …«
»… jedenfalls lag’s an den Pferden«, erklärte Hansi prosaisch. »Mein Wastl, der geht ja nicht vorwärts wie ein Depperter, der geht ganz gern zurück, wenn ich’s ihm sag. Und der kleine Hengst von dem Herrn Dietmar, der Gawain, der ist auch nicht der Mutigste. Und wie wir gesehn haben, dass der König am Boden lag, da haben wir alle versucht zu wenden. Nur … die Rösser von dem Herrn Guillaume und den anderen Rittern – die sind ja recht wild in der Schlacht. Umgedreht haben nur der Wastl und der Gawain mit mir und dem Herrn Dietmar. Und wir haben die Kerle dann schnell niedergemacht, die unserm König ans Leder wollten!«
»Dietmar hat den König gerettet?«, fragte Florís, fast ungläubig ob der Möglichkeiten, die sich für einen jungen Ritter aus solch einer Heldentat ergaben.
Rüdiger nickte. »Dietmar und Hansi«, wiederholte er. »Daher der Ritterschlag. Herr Jean de Bouvines verfügt jetzt auch über einen Streithengst, eine treffliche Rüstung und ein Lehen in Flandern. Warum er trotzdem noch auf seinem Wastl hinter mir herreitet, müsst ihr ihn selbst fragen.«
Hansi lachte. »Ich folg dir bis nach Lauenstein, Rüdiger«, erklärte er dann und griff zum zweiten Mal zu Käse und Fleisch. »Wirklich gut, das Essen, Frau Gerlin! Ich hab da noch ein Hühnchen zu rupfen mit diesem Herrn Roland und den anderen Saububen von Steinbach. Mein Bruder ist noch nicht ganz gerächt.«
Hansis Bruder war nach der Übernahme von Lauenstein von einem Gefolgsmann Rolands getötet worden. An Odemar von Steinbach hatte der Knappe damals bereits Rache genommen. Aber Roland von Ornemünde war zweifellos mitschuldig, er hätte den Mord verhindern können. Außerdem hatte Odemar Brüder gehabt, die an der Sache beteiligt waren.
»Nun erzähl aber weiter!«, mahnte Florís. Gerlin schien durch die Nachricht überwältigt. »König Philipp kam also wieder aufs Pferd …«
Rüdiger nickte. »In der Folge ließ der Kaiser auch seine Ritter direkt auf den König zustürmen – es war ganz klar geplant, die Schlacht durch König Philipps Tod zu entscheiden. Aber wir kämpften tapfer. Wobei Dietmar und ich uns den Grafen von Flandern vornahmen, das waren wir dem Kronprinzen nun wirklich schuldig, wo er schon nicht dabei sein konnte, um seinen Erbfeind selbst zu stellen. Ferrand war schließlich verwundet, und wir konnten ihn gefangen nehmen. Und dann drehten wir den Spieß um und konzentrierten die gesamte Ritterschaft auf den Kaiser. Beinahe hätten wir ihn sogar gekriegt, Pierre de Mauvoisin hatte schon seine Zügel ergriffen, aber letztlich ist er doch entkommen. Seinen goldenen Trosswagen ließ er zurück und die Standarte mit seinem Reichsadler. Wir hatten gewonnen!«
»Der Engländer ist auch gefangen, nicht?«, fragte Florís. »William of Salisbury –
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