Das Erbe der Pilgerin
Zeichen der Demut von ihm forderte.«
Diese Ritterlegende war allgemein bekannt und beliebt. Ein Ritter, der sich um seiner Dame willen erniedrigte.
»Auch nicht schlecht«, meinte Miriam und leckte einen Löffel Honig ab. »Gott prüft seine Ritter, indem er sie in einen Kampf für die Verfolgten schickt, wie einst Guinevere Lancelots Treue und Unterwürfigkeit prüfte. Hat der sie eigentlich am Ende gekriegt? Oder blieb sie ihrem Artus treu bis ans Ende ihrer Tage?«
Abram verzog sein Gesicht. »Sie ging ins Kloster«, bemerkte er. »Christliche Romanzen dürfen nicht zu glücklich enden, sonst exkommuniziert der Papst den Dichter. Wozu mir die kleine Sophia einfällt. Ist sie inzwischen aufgewacht?«
Miriam schüttelte besorgt den Kopf. »Nein, und das Fieber steigt. Ich mache mir langsam ernsthafte Sorgen. Hoffentlich taugt dieser Medikus etwas. Wenn er überhaupt kommt … Ich sollte jetzt auf jeden Fall hingehen und Geneviève ablösen, aber ich bin so müde … Und sobald der Graf und der König ihren Rausch ausgeschlafen haben, werden sie mich wieder brauchen. Ich wünschte, ich verstünde mehr von Strategie, Abram! Was sie brauchten, wäre ein erfahrener Heerführer, keine Wahrsagerin.«
»Aber der König hat doch die Mauren geschlagen«, wandte Abram ein. »So ein schlechter Stratege sollte er also nicht sein.«
Miriam zuckte die Schultern. »Der Graf hat auch schon Schlachten gewonnen. Die beiden schlagen aber wohl erst zu, und dann denken sie nach. Ob das allerdings gegen diesen Montfort gelingt? Er muss eiskalt sein und ungeheuer talentiert, was die Heerführung angeht. Und nun der Graf und seine Getreuen – von denen jeder seinen eigenen Kopf hat und sich erst mal niemand anderem unterordnet als seinem ganz speziellen Gott … Und der König, der sein Heer erst aus Aragón holen muss. Und die Sterne und ich …« Sie rieb sich die Stirn.
»Du legst dich jetzt erst mal ein paar Stunden schlafen«, bestimmte ihr Gatte. »Ich behalte die kleine Sophia im Auge und wünsche dem Medikus einen Funken des Wissens meines Oheims, der sich im Übrigen auch auf die Wissenschaft vom Krieg verstand. Es ist so eine Verschwendung …«
Miriam nickte traurig. Das Letzte, was sie von Salomon von Kronach gesehen hatten, war sein Fall unter dem Schwert eines christlichen Ritters. Den Hieb mochte er allerdings überlebt haben. Später hieß es, er sei am Port en Grève verbrannt worden. Der christliche Mob hatte furchtbar gewütet, nachdem das versteckte Leben der Pariser Juden entdeckt worden war.
Geneviève beobachtete das Eintreffen des Medikus vom Fenster ihrer Kemenate aus und dankte ihrem Gott für sein rasches Handeln. Wie immer bewunderte sie seinen sicheren Sitz auf dem Pferd. Er ritt eine Stute aus der Zucht ihres Vaters – wobei man auch sagen konnte, aus seiner eigenen. Pierre de Montalban interessierte sich nicht besonders für Pferde, aber der Medikus umso mehr. Und da der Burgvogt bereitwillig auf ihn hörte, hatte sich die Zucht der Montalbans in den letzten Jahren zu einer der besten des Landes ausgewachsen. Selbst der Graf von Toulouse ritt einen Hengst aus Montalban, und wie Geneviève sah, führte der übernächtigt wirkende Flambert eben einen prächtigen Rappen mit sich. Zweifellos ein Geschenk ihres Vaters für den König von Aragón.
Wenn der Medikus zu Pferde saß, erkannte man nichts von seiner Behinderung, erst als er nun absaß, sah man, dass er das Bein nachzog. Der Arzt war schlicht, aber kostbar gekleidet, dunkel gewandet, jedoch eher nach Art eines Ritters denn eines Gelehrten.
Geneviève überließ Sophia der Gräfin, die sich kurz zuvor zu ihr gesellt hatte, um sie bei der Pflege zu entlasten, und eilte ihrem Bruder und dem Medikus entgegen. Der Arzt lehnte den Willkommensschluck des Mundschenks eben freundlich ab, als Geneviève zu ihm stieß und ihren Freund und Lehrer ehrerbietig begrüßte.
»Ich bin glücklich und erleichtert, Euch hier zu sehen!«, sagte sie.
Flambert warf ihr einen verzweifelten Blick zu. Er schloss aus ihren Worten, dass Sophias Zustand sich nicht gebessert hatte.
»Sie ist nicht aufgewacht?«, fragte er.
Geneviève schüttelte den Kopf. »Bislang nicht, es tut mir leid. Dazu fiebert sie. Wir sorgen uns ernsthaft um ihr Leben.«
Der Medikus nickte der jungen Frau aufmunternd zu und nahm ihr Angebot, seine Tasche zu tragen, gern an. Er saß gut zu Pferde, aber nach dem Absteigen waren seine Gelenke steif und seine Knochen schmerzten.
»Nun bin ich
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