Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
Laut sagte er: »Ich kenne diese Kriegerin nicht sehr gut. Wohl aber kenne ich die Art, wie die Wunand zu kämpfen wissen, und achte ihren Mut und ihre Entschlossenheit. Es bringt jedoch zumeist Unruhe in die Gruppe, wenn eine Frau …«
»Der Elbenprinz zweifelte nicht an der Ehrenhaftigkeit der Männer«, fiel Maylea ihm ins Wort und meinte schnippisch: »Sollte er sich etwa getäuscht haben?«
»Natürlich nicht.« Wie immer, wenn er angestrengt über etwas nachdachte, fuhr Bayard sich mit der Hand über den Bart. »Nun gut«, sagte er schließlich. »Aber wenn Ajana deine Begleitung wünscht, will ich das achten.« Es war nicht zu übersehen, dass ihm die Entscheidung nicht behagte.
»Meinen Dank, Heermeister«, sagte Maylea erleichtert, schulterte ihr Bündel und gesellte sich zu den wartenden Kriegern, als sei damit alles gesagt. »Mögen die Götter uns reichhaltig segnen«, rief sie, »denn wir reisen ins Ungewisse. Emo.«
»Ehrwürdiger Whyono, Herrin Vhara!« Ein schmächtiger Uzomaknabe trat vor den Tisch, an dem die beiden Regenten ihr Morgenmahl verzehrten, und sank unterwürfig auf die Knie. Die Stirn an den Boden gepresst, wartete er gehorsam, bis einer der beiden das Wort an ihn richtete und ihm gebot, seine Nachricht vorzutragen.
»Nun, was gibt es Wichtiges, dass du uns bei der Morgenmahlzeit belästigst?«, fragte Othon mit vollem Mund und ohne den Blick von dem gebratenen Goldwachtelschenkel in seinen Händen abzuwenden. Genüsslich schmatzend drehte er den Knochen in den fettigen Fingern und machte keinen Hehl daraus, dass er den Gaumenfreuden weit mehr Aufmerksamkeit beimaß als den Neuigkeiten, die der Junge brachte.
Vhara bedachte Othon mit einem verächtlichen Blick und wandte sich dem Boten zu. Sie wartete voller Ungeduld auf nette Meldungen und war begierig zu erfahren, was der Knabe vorzutragen hatte. »Sprich«, forderte sie den Jungen auf, der offensichtlich nicht wusste, wie er sich auf Othons Äußerung hin verhalten sollte.
Der Knabe hob den Kopf, verblieb aber auf den Knien und sagte: »Man trug mir auf, Euch davon zu unterrichten, dass die Lagarenjäger angekommen sind.«
»Fabelhaft!« Vhara legte eine Traube roter Kilvarbeeren auf den tönernen Teller zurück, reinigte die Finger mit einem duftenden Tuch und erhob sich. »Führe mich zu ihnen«, befahl sie dem Jungen, der augenblicklich aufsprang und zur Tür eilte.
»Vhara!«, rief Othon enttäuscht. »Wie kannst du das köstliche Mahl für diese stinkenden Echsen stehen lassen? Willst du nicht mit mir zu Ende speisen? Die Lagaren sind doch eingesperrt. Sie laufen dir schon nicht davon.« Er lachte glucksend, als hätte er einen gelungenen Scherz gemacht, und stopfte sich eine Hand voll süßer Pacunüsse in den Mund.
Vhara sparte sich die Antwort und verließ den Raum. Mit energischen Schritten folgte sie dem Jungen durch die dunklen Gänge des strengen und angenehm kühlen Lehmziegelbaus, eilte vorbei an den Gemächern des Whyono und den Unterkünften der Frauen, die ihm als Metzen zur Verfügung standen, und trat schließlich ins Freie.
Es war noch sehr früh. Die Sonne erhob ihr goldenes Antlitz soeben über der roten Wüste, und die lichtdurchwirkte Einöde schien in Erwartung eines weiteren warmen Herbsttages die Luft anzuhalten.
»Kommt, Herrin.« Der Junge lief über den Platz vor dem imposanten zweistöckigen Bauwerk, das die Uzoma vor vielen Wintern für den neuen Herrscher erbaut hatten. Dahinter fiel ein flacher Hang ab. Schon von weitem konnte Vhara die Umrisse von sieben gewaltigen Käfigen erkennen, in welche die Lagarenjäger ihre Beute zu sperren pflegten. Sie standen auf breiten Kufen, die es den Jägern ermöglichten, die schweren Tiere auch über weite Strecken durch den allgegenwärtigen Sand zu transportieren. Allein zwanzig Uzoma waren nötig, um einen Schlitten zu ziehen, und so dauerte es oft mehrere Tage, bis die gefangenen Tiere Udnobe erreichten.
»Ihr kommt spät.« Die Begrüßung der Jäger durch die Priesterin verlief kühl und machte deutlich, wie ungeduldig sie war.
»Ne Sawand las me ad.« Ein stämmiger Uzoma in schwarzem Gewand trat vor und verneigte sich ergeben.
»Was soll das?«, herrschte Vhara ihn an. »Hat dir denn keiner gesagt, dass es seit vielen Wintern verboten ist, die einfältige Mundart der Uzoma in Gegenwart der Hohepriesterin zu sprechen? Bist du zu dumm oder nicht willens, dich in einer gepflegten Sprache auszudrücken?« Erbost ließ sie den Blick
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