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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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Bäume. Ich träume vom Freund im Nebel …«)
     
    Das Lied entströmte ihr wie von selbst und erschuf vor ihren Augen das Bild eines uralten Waldes. Für einen Augenblick flog sie darüber hinweg und stürzte dann jäh durch das grüne Dickicht. Äste und Blätter rauschten als braun-grünes Gewirr an ihr vorbei, doch der Sturz endete nicht auf dem Boden. Er ging weiter, bis hinunter zu den Wurzeln der Bäume und noch tiefer hinab in das düstere Herz der Erde. Eine Schlucht öffnete sich. Sie glitt hinein und ließ sich von der Magie führen. Dabei spürte sie, wie die Worte in ihr an Macht gewannen, wie sie Feuer fingen und auch die letzten leisen Zweifel zu Asche verbannten, während ihre suchenden Finger die zweite Rune ertasteten.
     
    Algiz …
     
    »I aur thinna, i dhaw eria. I daur thuia, i dhû veria …«
    (»Der Tag verblasst, die Nacht steigt herauf. Der Wald atmet, die Dunkelheit beschützt …«)
     
    Die Schlucht nahm kein Ende. Ajana keuchte auf, aber sie hatte keine Angst. Die Zeit verschwand in einem Sturm von Empfindungen, der als heißer Wind aus der bodenlosen Schwärze zu kommen schien und Mitgefühl, Schuldbewusstsein und Anteilnahme hinwegfegte, als wären sie unnötiger Ballast, der ihr den Weg zur Vollendung erschwerte.
    Erkenne dich selbst!
    Sie wurde eins mit den Elementen und mit der Magie, die in ihr loderte. Eine wohlige Wärme hüllte sie ein, schützend und stärkend, und sie fühlte, wie ihr menschliches Ich zurückwich und ihr uraltes Erbe sich entfaltete. Sie fühlte es und wehrte sich nicht. Sie war bereit.
     
    Mannaz …
     
    Du bist nicht allein.
    Ajanas Hand krampfte sich um das Amulett, als ihr Finger zur nächsten Rune wanderte und ihre Lippen beherzt die dritte Strophe formten …
     
    »Cuino i estel mîn. Thuion daig a chen laston …«
    (»Seid unsere Hoffnung lebendig. Ich atme tief ein und lausche Euch …«)
     
    Sie war die Erbin Gaelithils, Trägerin des Runenamuletts, Bewahrerin der Nebel – die Retterin Nymaths. Sie war dies alles und nichts davon und doch auf wundersame Weise mit jedem Teil ihrer selbst verbunden.
    Bekämpfe die Furcht vor der Wahrheit!
    Tiefe Dunkelheit umschloss sie, als sie den Grund der Schlucht erreichte und in die ewige Finsternis eintauchte. Aber sie fürchtete sich nicht. Sie war nicht allein. Die Macht der Musik, der uralten Magie ihrer Ahnen, pulsierte in ihr und flutete durch jede Faser ihres Körpers, bis sie glaubte, selbst in Flammen zu stehen, und sich nach Erlösung sehnte.
     
    Isaz …
     
    »Thuion i´ûl a ir idh …«
    (»Ich atme das Wissen und die Ruhe.«)
     
    Ein eisiger Hauch löschte das verzehrende Feuer, das in ihr wütete, bannte die Gefahr und trug die Ahnung nahenden Unheils in ihre Gedanken. Es wurde dunkel.
    Was ist gut, was ist böse?
    Wähle! Entscheide! Gib Acht!
    Die Finsternis wich einem undurchdringlichen Nebel. Gesichter erschienen darin, unheimliche und leere Totenschädel, die sie angrinsten und gleich darauf von ihrem Gesang hinfort gespült wurden.
    Erkenne die Gefahr!
    Die Worte beschützten sie wie die Hände einer Mutter und führten ihren Finger auf die fünfte Rune.
     
    Wunjo …
     
    Voller Zuversicht formten Ajanas Lippen die fünfte Strophe des Liedes.
     
    »I ven ereb dhartha. Ar istam i´ell randir …«
    (»Der einsame Weg wartet. Und wir wissen, dass Glück ein Wanderer ist.«)
     
    Alles war gut, alles war richtig.
    Lass Hand und Herz zusammenarbeiten!
    Die Macht war Bestandteil ihrer selbst, das Feuer brannte wieder, doch es hatte seinen Schrecken verloren und schenkte ihr Wärme und Zuversicht. Was immer von ihr verlangt wurde, sie würde es vollbringen. Sie war jetzt stark und eins mit sich selbst, voller Zuversicht und Selbstvertrauen. Fast widerwillig löste sie sich von der Rune, wünschte fast, sie könne ewig verweilen in nie gekannter Geborgenheit und innerer Harmonie.
     
    Gebo …
     
    »No min guin beng! No min guin bilin! Ar i bilin goveditha! …«
    (»Sei eins mit dem Bogen! Sei eins mit dem Pfeil! Und er findet das Ziel …«)
     
    Eine gewaltige Feuersäule raste auf sie zu, zerstörerisch und alles verschlingend. Ajana breitete die Arme aus, umfing die Flammen und hieß sie willkommen wie einen Freund. Sie spürte, wie die Macht in ihr weiter anschwoll.
    Sie hatte Macht! So viel Macht!
    Die Wildheit der Flammen war ein Spiegel ihrer Seele. Sie spürte, dass sie kurz davor stand, sich selbst zu opfern, sich ganz darin zu verlieren. Etwas zupfte warnend an ihrem

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