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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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Innern, doch der Rausch der Magie hatte sie gepackt und in ihr das heiße Verlangen entzündet, sich gänzlich diesem Gefühl hinzugeben.
    Sei unendlich erfüllt, ehrenhaft und reich!
    Umgeben von einer Welt aus Feuer und Schatten, in der Wahrheiten und Gefühle keinen Bestand mehr hatten, in der die Vergangenheit so nah und die Gegenwart unendlich fern erschien, gab sie sich ganz der Magie hin, ließ sich treiben und erschuf mit Hilfe der uralten Mächte neu, was bereits verloren war.
     
    Laguz …
     
    »Avo dhartho na nen edh-rîw, canis han dôg´urth a thrîw …«
    (»Bleibe nicht am Wasser der Grenze, denn es bringt Tod und Winter.«)
     
    Die siebente Rune öffnete das Tor zu ihrem Unterbewusstsein, wies ihr den Weg zu verborgenen Kräften und vollendete, was die Worte des Nebelliedes angerufen hatten. Sie festigte die Nebel, band sie an den Fluss und hieß ihnen so lange zu bestehen, wie das Leben der Nebelsängerin währte.
    Fürchte dich nicht! Hab Mut!
    Ajana hörte Wasser. Donnernde Wellen, stetes Rauschen und schließlich ein sanftes Plätschern. Es löschte das Feuer in ihr, und sie spürte, wie die Macht schwand.
     
    »Peniar amarth lîn. Ned i vanga en-fuin
    I ngelaidh si pen-loth a pen-lass. I lûth gaita erin dalaf.«
    (»Sie bestimmen dein Schicksal. Im Wandel der Nacht sind die Bäume jetzt ohne Blüte und Blatt. Die Magie liegt auf dem Boden.«)
     
    Die letzte Strophe verklang. Dann war es vorbei.
    Das Tosen der Elemente verstummte, die sphärischen Laute verklangen und nahmen die Magie und das Gefühl der Unbesiegbarkeit mit sich fort.
    Ajana war frei.
    Sie taumelte zurück, sank auf die Knie und krümmte sich vor Erschöpfung und Anspannung. Ihr Körper zuckte, und sie kauerte sich zusammen wie ein kleines Kind, während sie darum kämpfte, wieder Herrin ihrer selbst zu werden. Der Nachhall der Magie pulsierte in ihr als ein leichtes Kribbeln, das sie in den Armen und Beinen spürte und das sich nicht einfach abschütteln ließ. Sie fühlte sich leicht und entrückt. Wie ein Geist, schwebend, einen halben Schritt außerhalb der Zeit.
    So kniete sie am Flussufer, unfähig, sich zu rühren, und starrte keuchend auf den wogenden, von Blitzen durchzuckten Nebelschleier, der nun den Blick auf das jenseitige Ufer des Arnad verwehrte.
    Sie hatte es vollbracht.
    Keelin kam herbei und legte ihr sanft die Hände auf die Schultern. Annerkennung und Erleichterung sprachen aus der Berührung, und Ajana schloss die Augen, um seine Nähe in sich aufzunehmen. Es war vorbei, wie ein böser Traum, und sie spürte, dass es Zeit wurde, sich endgültig von der Magie zu lösen. Fast wehmütig schob sie das Gefühl kühler Überlegenheit bei Seite, das die Magie in ihr zurückgelassen hatte, und tastete sich an der Versuchung vorbei, das berauschende Gefühl der Macht noch einmal erleben zu wollen. Als ihr Blick auf das Amulett fiel, bemerkte sie, dass die letzte Rune, die sich eben noch im Mondstein abgezeichnet hatte, verschwunden war. Die feinen roten Linien hatten sich wieder in dem Blutstropfen vereinigt. Sie schloss die Finger darum, drehte sie sich um und sah Keelin an. Sie hätte glücklich sein müssen, erleichtert oder stolz, doch sie spürte nichts dergleichen. Die Magie war fort, und alles, was sie fühlte, waren Scham und Verzweiflung und das unerklärliche Gefühl, ein großes Unrecht begangen zu haben. In ihren Augen standen Tränen.
    »Nicht weinen …« Keelin lächelte und strich ihr sanft über die Wange. »Es ist vorbei.«
     
     
     
    Zunächst erschien es Abbas wie ein Wunder, dass er die Stadt mit den seltsamen Kuppelbauten völlig unbehelligt erreichte. Doch als er wenig später geduckt zwischen den hellen Lehmbauten hindurch schlüpfte, wurde ihm klar, warum ihn bisher niemand bemerkt hatte.
    Er hatte das Pferd am Stadtrand zurückgelassen und sich den Häusern von Osten genähert; die Eingänge und Fensteröffnungen wiesen jedoch ausnahmslos in südwestliche Richtung. Der Grund dafür war schnell gefunden. Glatt gefegte Sandhaufen, die sich überall an den Hauswänden auftürmten, waren ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Wind hier vornehmlich aus Nordosten wehte. Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass die Öffnungen an der dem Wind abgewandten Seite lagen.
    Türen und Fenster waren mit Schilfmatten verhängt. Dahinter hörte Abbas die nächtlichen Geräusche der schlafenden Bewohner. Ein Kind weinte, jemand hustete röchelnd, ein anderer schnarchte laut. Es war eine Stadt

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