Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
knurrte er ungeduldig.
Ajana zitterte am ganzen Körper. Stumm und mit schreckgeweiteten Augen starrte sie ihn an.
»Rede!« Der Griff wurde härter. »Sag – es – mir!«, forderte Ubunut, und sein drohender Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht zögern würde, noch härter durchzugreifen.
»Ja, los, sag es ihm!«, hörte Ajana Kento rufen, der offensichtlich darauf hoffte, dass sein Versagen durch ihre Aussage gemildert wurde.
»Ich weiß nichts!«, presste Ajana schließlich hervor.
»Was soll das heißen? ›Ich weiß nichts!‹«, ahmte der Anführer ihre Worte spöttisch nach. Dabei ließ er ihr Kinn los, packte sie bei den Haaren und bog ihr den Kopf so weit nach hinten, dass sie den rosafarbenen Morgenhimmel durch eine Lücke im zerstörten Schilfdach erblickte.
»Hör zu, du elendiger Humard.« Ubunut spie ihr die Worte wie eine üble Beleidigung ins Gesicht. »Du wirst uns jetzt sofort sagen, wo wir Trinkwasser finden – und zwar freiwillig.«
Ein paar Krieger gaben unterdrückte Laute von sich, die auf unheilvolle Weise einem angespannten Gelächter ähnelten.
Ajana blinzelte und schluckte schwer. Die Hand krallte sich inzwischen so fest in ihre Haare, dass ihr ein ersticktes Schluchzen über die Lippen kam. Mit einer enormen Willensanstrengung gelang es ihr, alle Kräfte zu sammeln und röchelnd hervorzustoßen: »Ich kann euch nicht helfen. Ich weiß nicht einmal, wo ich hier bin.«
»Was sagst du da?« Der Anführer riss sie mit solcher Gewalt an den Haaren, dass Ajana sich hinknien musste. Dann beugte er sich herunter und hielt den Kopf so dicht an den ihren, als hätte er sie nicht richtig verstanden.
»Sag das noch einmal!«, forderte er sie in einem gefährlich ruhigen Ton auf und verzog die schwarzen Lippen zu einem gespielt gutmütigen Grinsen. Fauliger Atem strömte zwischen den gelben Zähnen hervor und strich Ajana Übelkeit erregend um die Nase. Sie hustete und würgte, doch Ubunut hielt sie unbarmherzig fest. »Sprich!« Mit einem Schlag war das Grinsen verschwunden. Er zog ein blitzendes Messer hervor und setzte es Ajana an die Kehle. »Oder soll ich deiner Erinnerung erst ein wenig nachhelfen?«
»Nein, bitte!« Ajana schnappte nach Luft. »Ich weiß wirklich nicht, wo es hier Wasser gibt!«
»Habt ihr das gehört?«, wandte sich der Anführer an die Umstehenden und zerrte Ajana grob in die Höhe. Sie wimmerte vor Schmerz, doch er sprach seelenruhig weiter. »Sollen wir ihr das etwa glauben?«
Verneinendes Gemurmel ertönte.
»Kento!«
Der hoch gewachsene Krieger erhob sich mit einer ansatzlosen Bewegung. »Ja?«
»Halt sie fest!«
Während Kento Ajana von hinten packte, gab der Anführer ihre Haare frei, ließ das Messer aufblitzen und trat vor sie. Für ein, zwei Herzschläge schien er zu überlegen, dann schnellte die andere Hand vor und versetzte Ajana eine schallende Ohrfeige, die ihr fast das Bewusstsein raubte. »Nicht von hier, wie?«, brüllte er zornig. »Woher dann? Aus Sanforan? Vom Pass? Aus den Sümpfen? Woher?« Wieder hielt er ihr das Messer drohend an die Kehle. »Eine Elbin bist du nicht, auch keine dieser Wunandmetzen. Also: Welchen Blutes Tochter bist du?«
»Wovon redet ihr?«, schluchzte Ajana unter Tränen. Ihr Gesicht brannte wie Feuer. Die Lippe blutete, das linke Auge war stark angeschwollen, und die Finger waren so taub, dass sie den Schmerz in den Handgelenken nicht mehr spürte.
»Du willst mich wohl nicht verstehen«, fauchte der Anführer. »Du hasst uns, nicht wahr? Alle Humarden hassen die Uzoma, aber dein Hochmut wird dir hier nicht viel nützen. Du hattest großes Glück, dass Kento dich nicht auf der Stelle getötet hat. Also«, er holte tief Luft, und als er weitersprach, klang seine Stimme sanft und verlockend, »du kannst wählen. Entweder du stirbst kurz und schmerzlos, weil du uns den Weg zu sauberem Wasser gewiesen hast, oder …« Er nahm das Messer zwischen die Zähne und packte Ajana mit beiden Händen. Mit einem einzigen Ruck riss er ihre Bluse auf. Grinsend nahm er das Messer wieder zur Hand und fügte zynisch hinzu: »… oder so langsam, dass du dir wünschen wirst, du hättest es uns gleich gesagt.« Mit einem lüsternen Blick auf Ajanas Nacktheit ließ er das kühle Metall seiner Klinge über ihre zarte Haut gleiten.
Plötzlich stockte er.
»Blut und Feuer, was ist das?« Langsam, fast ehrfürchtig hob er die Hand und griff nach dem Amulett, das ungeschützt zwischen Ajanas Brüsten ruhte. »Den Stein
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