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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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dem der Elbin, und sie erschrak über das, was sie darin las.
    Sie weiß es, schoss es ihr durch den Kopf.
    Die Elbin schwieg, als erwartete sie eine Antwort, doch Ajana brachte kein Wort hervor. Die Erinnerung an das Entsetzen, welches die Uzoma beim Anblick des Amuletts überkommen hatte, hinderte sie zu sprechen.
    Sie ist auf deiner Seite, vertrau ihr , wisperte die Stimme wieder, doch Ajana brachte nicht den Mut auf. Beiläufig merkte sie, dass sie sich wieder eine der lockigen Haarsträhnen um den Finger wickelte. Beschämt hielt sie inne, biss sich auf die Lippen und senkte den Blick. »Ihr seid sehr freundlich«, sagte sie. »Aber …«
    »In Zeiten der Dunkelheit genügt eine Kerze, um das strahlende Tageslicht nicht zu vergessen«, sagte Inahwen, ohne Ajana den Sinn der Worte zu erklären. »Schick nach mir, wenn du bereit bist, diese Kerze zu entzünden.« Sie erhob sich, nickte Ajana freundlich zu und sagte leise: »Namárië – lebe wohl.«
    Gleich darauf war der Platz neben Ajana leer, die Hand auf ihrer Schulter fort. Ganz sacht raschelten Blätter auf dem Boden, aber es wehre kein Wind.

 
     
     

     
     
    Am nächsten Tag marschierte das Heer vom Imlaksee aus in nordwestlicher Richtung und suchte sich einen Weg durch die tiefen Wälder zur Festung am Pass des Pandarasgebirges. Die Wolken der Nacht hatten keinen Regen gebracht und waren im Lauf des Morgens nach Sanforan getrieben, sodass die Sonne, kaum hatte sie ihren höchsten Stand überschritten, von einem nahezu wolkenlosen Himmel herabschien.
    Je näher sie den Bergen kamen, desto häufiger trafen sie auf Anzeichen von Zerstörung. Niedergebrannte Gehöfte, verwüstete Felder und verwaiste Viehkoppeln waren deutliche Beweise dafür, dass es hier schon vor dem verheerenden Angriff auf Lemrik kleinere Scharmützel gegeben haben musste. Die wenigen Überlebenden, die ihnen auf dem Weg nach Süden mit ihrer spärlichen Habe begegneten, wussten Schreckliches zu berichten: von nie gesehenen fliegenden Ungeheuern, die sie des Nachts überfallen hatten, von Feuer speienden Drachen mit giftigem Atem, die Menschen und Tiere aus reiner Lust am Töten zerfleischten und dann ebenso rasch wieder verschwanden, wie sie gekommen waren.
    Manche der heimatlos Gewordenen begrüßten das vorbeiziehende Heer unter Tränen und priesen den Heldenmut der jungen Krieger. Doch in ihren Augen lagen weder Hoffnung noch Zuversicht.
    Als sich der lange Tag dem Ende zu neigte, brach das Heer wie ein gewaltiger dunkler Wurm aus den Wäldern hervor und marschierte auf eine grasbewachsene Ebene hinaus, an deren Ende sich das gewaltige Felsmassiv des Pandarasgebirges erhob. Die schneebedeckten Gipfel verbargen ihr weißes Antlitz noch hinter den dicht bewaldeten Höhenzügen, doch ein jeder wusste, dass sie dem Ziel nun nahe waren.
    Ajana saß an der rückwärtigen Seite eines Karrens und ließ den Blick gedankenverloren über die Ebene streifen, dorthin, wo gräuliche Schatten ihre spinnwebfeinen Finger in die Nacht streckten und kühle Nebel fadenscheinige Gespinste im schwindenden Tageslicht woben.
    Dieses unwirkliche Bild erinnerte Ajana an ihre Großmutter. Sie hatte einen ganz besonderen Namen für diese Tageszeit, in der der Wind erstarb und die Nacht sich anschickte, den schützenden Mantel über die Erde zu breiten. Sie nannte es die blaue Stunde – die Stunde der Geister und Träume, die Stunde, in der alle Hoffnungen und Ängste ihr wahres Gesicht zeigten und die Vernunft den Weg frei machen musste für das, was jenseits der Vorstellung lag.
    Ajana seufzte. Alles, was in den letzten Tagen geschehen war, lag jenseits ihrer Vorstellungskraft. Es war ein einziger furchtbarer Albtraum. Doch jedes Mal, wenn sie versuchte, darüber nachzudenken, schien es ihr, als liefe sie im Geiste gegen unüberwindliche Mauern, die ihr Bewusstsein errichtet hatte, damit sie nicht den Verstand verlor.
    Um ihr Wohl besorgt, hatten die Heilerinnen darauf bestanden, dass sie den Rest des Weges nicht mehr ritt. Die Gefahr, dass die Wunden aufrissen, war groß, und Ajana hatte schon zu viel Blut verloren. So dienten ihr ein paar Decken und wärmende Felle zwischen den Gerätschaften im Wagen der Heilerinnen seit dem frühen Morgen als Lager – eine Annehmlichkeit, die sie dankend angenommen hatte.
    Als sich der Wagen bei Sonnenaufgang mit gemächlichem Schaukeln in Bewegung gesetzt hatte, hatte ihr Körper dem Schlafmangel Tribut gezollt. Sie war in einen traumlosen Schlummer geglitten, aus

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