Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
Hilfe bedürfen. Und die Krieger sind den ganzen Tag ohne Rast marschiert. Sie sind erschöpft und brauchen Quartier und Nahrung.«
»Es ist alles vorbereitet«, sagte der Heermeister. »Der Falke überbrachte Eure Nachricht am frühen Nachmittag.« Er wandte sich um und winkte die Fathkrieger zu sich. »Teilt die Rekruten den Einheiten zu und führt sie zu den Unterkünften«, befahl er. »Danach zeigt ihnen, wo es etwas Warmes zu essen gibt.« Die Krieger nickten zum Zeichen, dass sie verstanden hatten, und eilten auf das Heer zu, das entlang der von Fackeln gesäumten Gasse angehalten hatte.
»Aileys?«, wandte sich Toralf an die Wunandamazone.
»Ich werde mich um die Verletzten kümmern«, gab diese zur Antwort, bevor Toralf etwas sagen konnte. Erhobenen Hauptes trat sie vor Gathorion, blickte ihn freimütig an und fragte: »Wo sind sie?«
Es war kalt. Abbas lag auf einem klammen Strohsack und starrte an die hohe Decke des Gewölbes, das als Schlafsaal diente. Der gewaltige fensterlose Raum war wie so viele Unterkünfte der Festung mitten in das Felsmassiv hineingetrieben. Die Luft war schlecht, und rußende Fackeln verbreiteten ein dämmriges Licht.
Der junge Wunand verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lauschte auf die Geräusche der Schlafenden. Schnarchen, Husten und leises Gemurmel drangen aus mehr als hundert Kehlen. Jemand rief im Schlaf den Namen einer Frau, ein anderer murmelte leise vor sich hin.
Abbas seufzte und schloss die Augen. Als er am frühen Abend völlig erschöpft durch das Tor marschiert war, hatte er sich nur noch nach einem Lager gesehnt. Doch jetzt, wo er sich endlich niedergelegt hatte, blieb ihm der erhoffte Schlaf versagt. Zwar war er es gewohnt, mit vielen anderen einen Raum zu teilen, hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass es so viele waren. In diesem Gewölbe ruhten sich jene aus, die in der Hierarchie ganz unten standen: Küchenjungen und Wasserträger, Boten, Stallburschen und Pfeilsammler. Männer und Frauen jeden Alters, die schwer arbeiteten und es trotzdem nie zu Ehre und Ruhm bringen würden. Abbas wünschte sich, er wäre in anderer Gesellschaft.
Gemeinsam mit den Angehörigen des Trosses hatte man ihn nach der Ankunft in der Festung hierher geführt, ihm einen Strohsack und eine raue, grob gewebte Decke in die Hand gedrückt und ihn angewiesen, sich einen Schlafplatz zu suchen.
Abbas hatte dem Befehl wortlos Folge geleistet, doch als die anderen hinausgegangen waren, um sich eine warme Mahlzeit zu holen, war er liegen geblieben. Er verspürte keinen Hunger. Endlich war er dort angekommen, wo er sich als Mann beweisen konnte. Doch die Enttäuschung, dass ihn hier kaum andere Aufgaben erwarteten als in Keldas Herdküche, war groß.
Wofür hatte er sich nun in heimlicher, nächtelanger Arbeit eine Feuerpeitsche angefertigt? Wofür das Wagnis auf sich genommen, Kesselketten, Nägel, Bänder und einen Pfannengriff zu stehlen, um sich eine eigene Waffe zu erschaffen? Wofür hatte er sich im Umgang mit der Peitsche geübt? Doch nicht, um jetzt den schwitzenden Kriegern das Wasser zu reichen, Aborte zu entleeren oder die Küche zu fegen! Abbas spürte, wie die Wut in ihm aufloderte, und ballte die Fäuste. Nein, dafür war er nicht den weiten Weg marschiert. Er wollte kämpfen, und er würde kämpfen!
Auch Keelin lag noch lange wach. Den Falknern hatte man weitaus bessere Unterkünfte zugeteilt als den Angehörigen des Trosses. In der Baracke aus Felsgestein nahe dem Falkenhaus gab es drei kleine Räume mit einem winzigen Fenster und schmalen Holzpritschen an den Wänden, und obgleich sich auch hier ein halbes Dutzend Falkner die Unterkunft teilen mussten, boten die Schlafstätten immerhin ein geringes Maß an Behaglichkeit.
Aber Keelin konnte sich darüber nicht freuen. Die Zuteilung der Schlafplätze war äußerst ungünstig für ihn verlaufen. Er hatte kaum Freunde unter den Falknern gefunden, und auch wenn es einige unter ihnen gab, die ihn trotz seiner unreinen Abstammung achteten, so blieb er doch ein Einzelgänger. Nun musste er sich die kleine Kammer ausgerechnet mit jenen Falknern teilen, die vor mehr als fünf Wintern um die Gunst von Horus gewetteifert und die nie einen Hehl daraus gemacht hatten, wie sehr sie ihn dafür hassten, dass der Falke damals ihn, einen Stallburschen, an ihrer Statt erwählt hatte.
Da Keelin ihnen in der Ausbildung einen Winter voraus war, hatte er den jungen Raiden in Sanforan aus dem Weg gehen
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