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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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Stich gelassen. Wir sind auf uns selbst gestellt. Bayard hat Recht; es reicht nicht aus, sich nur hinter den Mauern zu verschanzen. Doch wir haben keinerlei Erfahrung in Angriffskriegen. Mit unseren geringen Möglichkeiten und unzureichenden Kenntnissen gegen das Heer der Uzoma aufzumarschieren käme einem Todesurteil gleich.«
    »Mein Vater setzte großes Vertrauen in die Macht des Blutes«, erinnerte sich Gathorion nachdenklich. »Bis zu seinem Tod war er fest davon überzeugt, dass die Nebelsängerin eines Tages den Weg nach Nymath finden würde und …« Er verstummte, weil er bemerkte, dass Inahwen sich erhob. »Was ist los, Schwester?«, fragte er.
    »Entschuldigt mich«, sagte Inahwen, die den Ausführungen der Männer bisher schweigend gefolgt war. »Ich brauche ein wenig frische Luft und möchte ein paar Schritte gehen.« Sie schenkte den Anwesenden ein entschuldigendes Lächeln. »Ich bin bald zurück.« Mit diesen Worten wandte sie sich um und verließ den Raum.
    Gathorion schaute ihr verwundert nach. Es war nicht Inahwens Art, eine wichtige Besprechung vorzeitig zu verlassen. Schon eine ganze Weile hatte er sie beobachtet und gespürt, wie unruhig sie war. Den Grund dafür konnte er sich nicht erklären, war sich jedoch sicher, dass das Bedürfnis nach frischer Luft und nach Bewegung nur ein Vorwand war. Es musste einen anderen Grund für ihr Verhalten geben – einen Grund, der so bedeutsam war, dass sie ihn vorerst für sich behalten wollte.

 
     
     

     
     
    Natürlich kamen Schmerz und Heimweh doch, nur später.
    Mit jeder Stunde, die verging und in der Ajana Zeit hatte, über all das nachzudenken, was ihr widerfahren war, wurden die Gefühle heftiger.
    Die Heilerinnen kamen und gingen. Sie versorgten ihre Wunden, brachten Wasser und Nahrung und nahmen Mayleas Abwesenheit verständnislos zur Kenntnis. Zwar wechselten sie ein paar freundliche Worte mit Ajana, doch da diese sich eher kühl und abweisend verhielt, huschten sie bald wieder hinaus und ließen sie allein.
    Nachdem sie eine Weile stumm zur Decke gestarrt hatte, kamen ihr die Tränen. Ein brennender Schmerz durchfuhr sie, und bald weinte sie hemmungslos. Als ihre Tränen versiegt waren, breitete sich der Kummer über all das, was sie verloren hatte, wie eine dumpfe, betäubende Leere in ihrem Innern aus.
    Ob sie nach mir suchen?
    Es gab keinen Trost, keine Worte, die sie hätten ermutigen können. Sie war allein. Wie ein junger Vogel, der zu früh aus dem Nest gefallen und plötzlich auf sich allein gestellt war, unfähig, die Welt um sich herum zu begreifen, und nicht ahnend, welche Gefahren ihn erwarteten.
    Ob Mutter schon bei meinen Freundinnen angerufen hat?
    Reglos lag sie auf dem harten Strohsack in der kleinen Kammer und starrte die Wand an, wo ein Sonnenstrahl, der durch eine kleine Öffnung fiel, langsam an dem grob verputzten Mauerwerk entlang wanderte.
    Ob Vater schon die Polizei informiert hat?
    Der Vormittag verrann, dann der Nachmittag, langsam und tröpfelnd. Zeit hatte keine Bedeutung inmitten der bleiernen Leere und wurde zu einem kleinen quadratischen Lichtfeld auf grauem Felsgestein, der Zentimeter um Zentimeter vorankroch, bis er schließlich immer schmaler wurde. Kein Laut störte ihn auf seinem Weg, keine Bewegung unterbrach den Lichtstrahl, dem es seine Existenz verdankte.
    Ob Rowen mich vermisst?
    Irgendwann wurde es dunkel. Auf dem Boden neben dem Strohsack stand eine kleine Öllampe, doch selbst wenn Ajana gewusst hätte, wie man das Licht darin entfachte, sie hätte es nicht getan. Licht war ein Zeichen von Hoffnung, und für sie gab es keine mehr.
    Ob ich sie jemals wieder sehe? Mutter, Vater und Rowen? Saskia und all die anderen Freunde und Freundinnen? Den geliebten Plüschbären und all die vielen kleinen Dinge, an denen ihr Herz hing?
    Ob ich das noch einmal erlebe?
    Den Frühling in Andrach, das sommerliche Treiben im Freibad, die herbstlich bunten Wälder rings um das kleine Städtchen und im Winter die romantischen Kutschfahrten durch die verschneite Landschaft?
    Bilder aus glücklichen Tagen brachen wie eine Flut über Ajana herein, Bilder von Ereignissen, die sie zuvor nicht als bedeutsam empfunden hatte und die sie nun schmerzlich vermisste. Sie sah ihre Mutter in der Tür stehen und ihr mahnende Worte hinterher rufen, wenn sie das Haus verließ. Noch vor ein paar Tagen war ihr die übertriebene Fürsorge lästig gewesen, doch nun wünschte sie sich nichts sehnlicher, als die vertraute Stimme wieder

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