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Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Titel: Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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insgeheim erwartet hatte.
    »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sähe, ich würde es nicht glauben«, flüsterte sie Aileys zu. »Hast du dir das so vorgestellt?«
    »Von so einer gewaltigen Stadt berichtet die Überlieferung nichts.« Die Wunand-Heermeisterin schüttelte den Kopf. »Sie muss in der Zeit nach der Flucht entstanden sein.«
    »Vermutlich haben die neuen Herrscher die alte Kultstätte um den Götterbaum dazu genutzt, den neuen Glauben zu festigen«, meinte Inahwen. »So etwas geschieht häufig in Zeiten des Wandels.«
    »Ihr meint, sie haben den Baum gefällt?« Ajana erbleichte.
    »O nein.« Inahwen schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, er ist noch da. Ich fürchte nur, um ihn zu erreichen, werden wir mitten ins Herz der Stadt vorstoßen müssen.«
    »In meiner Welt nennen wir es ›in die Höhle des Löwen gehen‹.« Die Worte hatten locker klingen sollen, doch noch während Ajana sie aussprach, überkam sie ein unheilvolles Gefühl. Stärker als zuvor bei Abbas, den sie auch vor Unheil hatte schützen wollen, spürte sie, dass etwas Schreckliches geschehen würde. Etwas, das all die furchtbaren Opfer, die ihr Aufenthalt in Nymath bereits gefordert hatte, in den Schatten stellen würde.
    »Was ist mit dir?«, fragte Keelin besorgt.
    »Ihr müsst umkehren.« Ajana kämpfte mit der Trockenheit, die sich in ihrer Kehle bemerkbar machte. »Ihr dürft mich nicht weiter begleiten. Es ist zu gefährlich.«
    »Beruhige dich, Ajana!« Inahwen legte ihr mitfühlend die Hand auf den Arm. »Du hast viel durchgemacht und einen großen Verlust erlitten«, sagte sie sanft. »Die Sorge um uns ehrt dich. Doch waren wir uns der Gefahr von Anfang an bewusst.«
    »Aber da unten in der Stadt …«
    »Ist die Höhle des Löwen.« Inahwen lächelte wissend, als sie Ajanas Worte wiederholte. »Auch ich spüre die Gefahr«, fuhr sie fort. »Es ist das elbische Blut in uns, das uns zur Vorsicht mahnt. Es lässt uns die Aura des Bösen spüren, die die Tempel wie ein unsichtbarer Mantel umgibt; geboren aus dem Blut und den Tränen von Hunderten unschuldigen Opfern, denen das Leben im Namen des Blutgottes entrissen wurde.
    Wir werden gewarnt, du und ich. Nun ist es an uns, einen Vorteil aus diesem Wissen zu ziehen und es zu nutzen, um unser Ziel zu erreichen.« Sie verstummte, schaute Ajana an, die immer noch sehr aufgewühlt war, und fügte schließlich hinzu: »Um die Gefahr zu wissen ist der Vorteil des Jägers. Sei unbesorgt. Uns wird nichts geschehen.«

 

     
     
     
     
     
    Am Morgen, nachdem Ajana und ihre Begleiter die Tempelstadt erreicht hatten, fand auf dem großen Platz vor dem Tempel ein außergewöhnlicher Wettkampf statt. Es galt, den Gottesboten für die Hinrichtung der Felis zu ermitteln. Wie immer hatte das hohe Preisgeld zahlreiche Bogenschützen angelockt, die an diesem Nachmittag um die Ehre streiten wollten.
    Schon früh am Morgen strömten die Menschen in Scharen zum Tempel, um sich die rivalisierenden Bogenschützen anzusehen, die dort ihre Künste zur Schau stellten. Die Krieger der Tempelgarde hatten hierzu eine ganze Reihe geflochtener Zielscheiben aufgestellt. Ringsherum drängten sich die Schaulustigen, die jeden gelungenen Schuss lautstark bejubelten und in schallendes Gelächter ausbrachen, wenn ein Pfeil daneben ging. Überall wurden Wetten abgeschlossen, und die allgemeine Anspannung, die dem Gottesurteil am nächsten Tag vorauseilte, fand einen vorläufigen Höhepunkt.
    »Was ist da los?« Ajana deutete auf die dicht gedrängte Menge vor ihnen. Die vier hatten die Wachen am Fluss unbehelligt passiert und die Nacht zusammen mit Hunderten von Fremden in einer überfüllten, aber halbwegs trockenen Halle verbracht.
    »Das soll uns nicht kümmern«, erwiderte Inahwen leise. »Solange ihnen dort etwas geboten wird, fallen wir nicht auf. Kommt, lasst uns einen weiten Bogen schlagen. Das ist sicherer, als sich mitten hindurch zu zwängen.« Sie schwenkte nach rechts, um die Menge zu umgehen. Ajana und Aileys folgten ihr, aber Keelin blieb stehen.
    »Keelin?« Ajana ging zu ihm. »Was ist mit dir?«
    »Da ist ein Falke.« Keelin starrte noch immer auf einen Punkt irgendwo jenseits der Menschenmenge.
    »Wo?« Ajana reckte sich, konnte aber nichts erkennen.
    »Da hinten, in einem Käfig.« Keelin sah sie nicht an. »Ein Weibchen. Es hat große Angst.«
    »Wie kannst du das wissen?« Ajana runzelte die Stirn. »Du bist doch keinen Bund mit dem Tier eingegangen.«
    »Ich weiß, was ich fühle.«

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