Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
Keelin blieb unbeirrt. »Das Falkenweibchen wurde erst vor kurzem gefangen. Es hat zwei hilflose Junge in der Horstmulde sitzen und ist außer sich vor Sorge und Furcht.« Er verstummte und schaute noch einmal auf die versammelte Menge.
»Wo bleibt ihr denn?« Inahwen war mit Aileys zurückgekommen.
»Dort hinten ist ein Falkenweibchen in Gefangenschaft.« Eine wilde Entschlossenheit, die Ajana von Keelin bisher nicht kannte, lag in seinem Blick, als er die Elbin anschaute. »Ich muss es befreien.«
»Das ist nicht möglich.« Inahwen schüttelte energisch den Kopf. »Wenn du hier Aufsehen erregst, läufst du Gefahr, uns alle zu verraten.«
»Ich verstehe Eure Bedenken, aber die Sorgen sind unbegründet.« Keelin war sich seiner Sache ganz sicher. »Dort hinten findet ein Bogenschützenwettbewerb statt. Das Falkenweibchen ist der Preis für den besten Schützen.«
»Und woher weißt du das?«, wollte Ajana wissen.
»Ich sehe es.« Keelin deutete nach oben, wo Horus über der Menge kreiste.
»Das kommt nicht in Frage!« Inahwen blieb hart. »Auch wenn es ein Wettbewerb ist. Wir dürfen kein Aufsehen erregen.«
»Dann haltet euch im Hintergrund.« Keelins Tonfall war ungewohnt scharf. »Wir kennen uns nicht. Wenn etwas fehlläuft, sucht ihr den Götterbaum ohne mich. Wenn ich erfolgreich bin, setzen wir den Weg gemeinsam fort. Auf keinen Fall aber kann ich zulassen, dass dieser Falke sein Leben in Gefangenschaft fristet oder gar ein noch schlimmeres Schicksal erleidet.« Er schob sich an Aileys vorbei auf die Menge zu. »Ich muss ihm helfen.«
»Keelin!« Die Wunand-Heermeisterin hielt ihn zurück. »Wir haben so viel gemeinsam durchgestanden und große Verluste erlitten, um so weit zu kommen. Willst du das wirklich alles aufs Spiel setzen – nur wegen eines Vogels?«
»Nur wegen eines Vogels?« Keelin sah sie erbost an. »So etwas kann wahrlich nur eine … eine … wie du sagen.« Das Wort Wunand verkniff er sich gerade noch rechtzeitig, weil er sich bewusst war, dass auch andere es hören konnten. »Die Angehörigen meines Blutes haben ihr Leben diesen wunderbaren Geschöpfen verschrieben. Unser Ehrenkodex besagt, dass das Leben eines jeden Falken zu schützen ist, auch wenn wir uns selbst dafür in Gefahr bringen.« Er schaute die drei Frauen nacheinander an, und als er weitersprach, klang seine Stimme sanfter: »Ich kann nicht gegen meine Ehre handeln«, beteuerte er. »Ich muss dem Falken helfen. Es nicht zu tun würde nicht nur ihren, sondern auch den Tod ihrer Jungen bedeuten. Das könnte ich mir niemals verzeihen.« Er seufzte, schüttelte den Kopf und sagte dann: »Ich will euch nicht in Gefahr bringen: Darum bitte ich euch, zieht ohne mich weiter.«
»Nein.« Ajana ergriff Keelins Hand. Der Gedanke, sich hier und jetzt von ihm zu trennen, so überstürzt und ohne ein Wort des Abschieds, war ihr unerträglich. »Tu, was du tun musst. Ich warte hier auf dich.« Sie blickte Keelin an und sah ihn lächeln.
»Ich verstehe, was dich bindet.« Inahwen nickte bedächtig. »Auch mein Volk ist an einen Kodex gebunden.« Sie schwieg und wirkte nachdenklich. »Also gut. Ich halte dich nicht auf. Und da Ajana es wünscht, werden wir alle hier auf dich warten«, sagte sie schließlich und blickte ihn scharf an. »Aber vergiss nicht, wenn etwas fehlläuft, kennen wir uns nicht. Dann werden wir ohne dich zum Götterbaum gehen.«
»So sei es.« Keelin nickte der Elbin zu und küsste Ajana zum Abschied auf die Wange. Dann wandte er sich um und verschwand in der Menge.
***
Ein Aufatmen, zart wie ein Windhauch, strich durch die triste Halle der schlafenden Götter. Asza lächelte, und für einen Augenblick schien es, als kehre damit auch das Licht zurück, das diese Gestade schon vor so langer Zeit verlassen hatte.
»Es tut gut, Euch lächeln zu sehen.« Der Wanderer trat aus dem Schatten und gesellte sich zu der jungen Göttin die, wie sooft, an Callugars Brunnen stand und die Bilder betrachtete, die das Wasser preisgab. Diesmal blickte sie von oben auf eine große Menschenansammlung nieder. Ihre Aufmerksamkeit galt einem Mann in hellem Gewand, der sich einen Weg durch die Menge bahnte.
»So hat er sich tatsächlich entschieden, dem Falken zu helfen.« Der Wanderer nickte bedächtig.
»Er hatte keine Wahl.« Ein listiges Lächeln umspielte Aszas Mundwinkel. »Willst du einen Krieger lenken, nimm ihn bei seiner Ehre.«
»Eure Mutter zog es vor, ihn bei seiner Sinnlichkeit zu nehmen.« Obwohl
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