Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Tontöpfe, in denen sie ihre Vorräte gelagert hatte, waren geborsten, und die rußgeschwärzten Scherben lagen überall verstreut. Selbst fünf Schritte von der Hütte entfernt mussten die Lohen so heiß gewesen sein, dass der Schnee geschmolzen und augenblicklich verdampft war.
Das Unbehagen, das die Magun schon die ganze Zeit verspürte, vertiefte sich weiter, und eine düstere Vorahnung stieg in ihr empor. Das konnte kein gewöhnliches Feuer gewesen sein.
Achtlos warf sie das geschwärzte Metall zur Seite und schritt weiter durch die Asche. Selbst durch die dicken Sohlen ihrer Stiefel hindurch spürte sie die Hitze, die der Boden immer noch ausstrahlte. Immer wieder sah sie glimmende Holzstücke in der Dunkelheit aufleuchten, wenn ihre Schritte die lockere Asche aufwirbelten.
In der Mitte des Brandflecks lag die Stelle, an der ihr Herdfeuer gebrannt hatte. Die Magun bückte sich, zog den ledernen Handschuh aus und strich vorsichtig über die Feldsteine, die ringförmig um die Feuerstelle lagen. Sie fühlten sich eigentümlich glatt an, und ihre sonst so raue Oberfläche glänzte im Mondlicht wie geschliffenes Glas.
Seltsam …
Als sie die Steine erneut berührte, streifte der Anblick rot glühenden Felsgesteins jäh ihr Bewusstsein. Erschrocken zog sie die Hand zurück.
»Große Mutter«, murmelte sie und starrte verblüfft auf den Stein. Nie zuvor war ihr Ähnliches widerfahren. Steine wie diese besaßen keine Weitsicht. Für die Gabe des Sehens waren sie völlig ungeeignet, doch jetzt …
Die Magun führte die flache Hand in geringem Abstand über den Stein und fand ihren überraschenden Eindruck bestätigt. Es schien, als habe er nicht nur die Glut des Feuers, sondern auch die Empfindungen einer fremden Wesenheit in sich aufgenommen. Das Lebensmuster der Kreatur war ihr fremd, doch sie hatte längst einen unheilvollen Verdacht.
Sie musste Gewissheit haben.
Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns wagte sie es, den Stein noch einmal zu berühren.
Die Bilder glühenden Gesteins kehrten augenblicklich zurück, doch diesmal wehrte sie sich nicht dagegen und nahm sie wie eine Vision in sich auf. Sie wich selbst dann nicht zurück, als sich der Blickwinkel weitete und aus den glühenden Steinen eine Ansammlung rot glühender Felsen wurde, die ihre feste Gestalt unter der enormen Hitze alsbald aufgaben und in einem brodelnden Meer aus flüssigem Feuer versanken.
Der Wehlfang.
Erschüttert brach die Magun die Verbindung ab. Sie hätte es ahnen müssen! Schlimmer noch, sie hätte vielleicht verhindern können, was geschehen war. Aber sie hatte all ihre Gedanken voraus gerichtet und keinen einzigen darauf verwendet, dass auch ihr Heim und ihre Habe bedroht waren.
»O Große Mutter, ich werde alt«, seufzte sie betrübt, und eine Träne rann über ihre faltige Wange. Warum nur hatte sie das Wissen nicht für sich selbst genutzt? Als der Wanderer ihr das Wesen der Feuerkrieger offenbart hatte, hätte ihr klar werden müssen, dass sie wie Süchtige auf der Suche nach Wärme waren.
Spätestens da hätte sie die Gefahr erkennen müssen, die von der Glut ihres Herdfeuers ausging, und sie hätte ahnen können, dass die Restwärme der glimmenden Hölzer, die unter der dicken Ascheschicht ruhten, die Feuerkrieger anziehen würde.
Die Magun seufzte und schüttelte verzweifelt den Kopf. Es war sinnlos, jetzt noch über die Versäumnisse der Vergangenheit nachzudenken. Sie hatte für ihren Fehler teuer bezahlt. Jetzt galt es, in die Zukunft zu blicken und einen Weg zu finden, den Winter unbeschadet zu überstehen.
Wie von selbst wanderte ihr Blick hinauf in die Berge, dorthin, wo man sie in einem friedlichen, immergrünen Tal willkommen heißen würde.
»Nun, Ylva«, murmelte sie leise vor sich hin. »Wie es aussieht, werde ich deine Einladung wohl doch annehmen – morgen.« Sie ächzte, als spürte sie ihre schmerzenden Glieder bei dem Gedanken an einen erneuten Aufstieg besonders nachdrücklich. »Zuvor werde ich meinen müden Knochen noch eine kurze Rast gönnen. Hier ist es warm. Ich werde schon nicht erfrieren, wenn ich mich ein wenig ausruhe.« Mit schleppenden Schritten verließ sie den von Asche bedeckten Platz, setzte sich auf einen Baumstumpf, der aus dem rußigen Schnee ragte, und lauschte in die Nacht, so wie sie es oft von der kleinen Bank vor ihrer Hütte aus getan hatte.
Alles war friedlich. Alles war still. Die Magun liebte diese Stille. Sie war ihr in den vielen hundert Wintern vertraut
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