Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Gedanke daran genügte, um die namenlose Panik in ihr erneut aufleben zu lassen. Ajana zitterte am ganzen Körper und zog sich die Decke enger um die Schultern. An Schlaf war nicht mehr zu denken.
Sobald die Sonne aufging, würden sie ihren Weg fortsetzen. Durch den Höhleneingang, in dessen Nähe sie das Nachtlager errichtet hatten, würde Ghan sie in eine finstere und fremde Welt führen, die vermutlich noch weit mehr Schrecken für sie bereit hielt als nur eine schwankende Hängebrücke. Ajana schlang die Arme um die Knie und gestattete es sich nicht, weiter darüber nachzudenken.
»Was auch geschieht, du darfst niemals den Mut verlieren«, hatte Ylva ihr zum Abschied gesagt. Sie hatte dazu genickt, nicht ahnend, auf welch harte Proben ihr Mut gestellt werden würde.
Gedankenversunken sah sie Keelin an und wünschte, er würde aufwachen. Seit sie wusste, wie er für sie empfand, fiel es ihr leichter, das Schicksal anzunehmen. Sogar das Heimweh plagte sie nicht mehr so stark wie zuvor. Sie selbst hatte ihr Herz schon bei der ersten Begegnung in Lemrik an den jungen Falkner verloren, wie ihr inzwischen klar war, doch ihre Sehnsucht nach Hause und die gefährliche Reise zum Arnad hatten den zarten Gefühlen keinen Raum gelassen und sie lange Zeit in den Hintergrund gedrängt.
Nun war sie wieder auf einer gefährlichen Reise, doch diesmal wusste sie ihn unerschütterlich an ihrer Seite. Die Gewissheit, dass auch er starke Gefühle für sie hegte, erfüllte sie mit Kraft und Zuversicht, aber auch mit einer dumpfen Trauer, denn sie wusste, dass ihre Liebe keine Zukunft haben konnte.
Inzwischen war es heller geworden. Ajana bemerkte, wie Keelin im Schlaf lächelte, und sie fragte sich, wovon er wohl träumte. Sie hob die Hand, um ihm über die Wange zu streichen, als plötzlich ein vertrauter Pfiff aus unmittelbarer Nähe ertönte.
Horus war zurück!
Keelin erwachte fast augenblicklich und richtete sich auf. Verschlafen fuhr er sich mit den Händen über die Augen, um die Müdigkeit zu vertreiben. Dann sah er Ajana an. »Du bist schon wach?«, fragte er leise.
»Ich konnte nicht mehr schlafen.« Ajana wollte ihn nicht mit ihren Träumen und Ängsten behelligen und sagte die Worte bewusst beiläufig. Für ein weiteres Gespräch blieb ihnen jedoch keine Zeit, denn in diesem Augenblick landete Horus flügelschlagend neben Keelin auf dem Boden. Misstrauisch beäugte er Ajana, dann schritt er erhobenen Hauptes auf Keelin zu.
Er mag mich nicht, schoss es Ajana durch den Kopf, und sie überlegte, ob Vögel auch eifersüchtig sein konnten. Bei einer Vogelart ihrer Welt hätte sie vermutlich über diesen Gedanken gelacht, doch Horus konnte sie nicht einschätzen. Die Beziehung zwischen Keelin und dem Falken war über viele Jahre gewachsen. Zwischen den beiden bestand eine so enge Verbundenheit, dass Horus sie durchaus als Störenfried empfinden mochte.
Ajana seufzte. Irgendwann würde sie Keelin danach fragen.
Der junge Falkner war gerade damit befasst, eine Botschaft vom Bein des Falken zu lösen. »Eine Nachricht von Gathorion!«, rief er Bayard zu.
Dem Katauren war die Rückkehr des Falken nicht entgangen. Er hatte sich erhoben und kam um das Feuer herum auf Keelin zu. »Dann wollen wir doch mal sehen, was es am Pass an Neuigkeiten gibt«, brummte er, während er die Nachricht von Keelin in Empfang nahm und vorsichtig entrollte. »Oh!« Die Augen des Heermeisters huschten über die Zeilen, und seine Miene verfinsterte sich. Als er zu Ende gelesen hatte, rollte er das Papier zusammen und sah Ajana und Keelin betroffen an. »Es hat begonnen!«, sagte er matt. »Gathorion berichtet von ersten Bränden, die in Nymath wüten. Ein Wagentross mit Gütern und Nahrungsmitteln für die Festung wurde ein Raub der Flammen. Auch erste Gehöfte brennen bereits.«
»So schnell?«, stieß Keelin tief bewegt hervor. »Gilians heilige Feder, ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell anfängt.«
»Ich auch nicht.« Unterdrückter Zorn schwang in der Stimme des Heermeisters mit, doch er hielt seine Gefühle zurück und sagte betont sachlich: »Gathorion dankt uns für die Nachricht und wünscht uns Glück. Nachdem Horus ihm die Warnung vor den Feuerkriegern überbrachte, hat er unverzüglich Krieger abgestellt, die die Feuer in den brennenden Gehöften am Leben erhalten. Wie lange sie die Stellungen halten können, ist jedoch ungewiss.« Er verstummte und wartete, bis sich Inahwen, Maylea und die beiden anderen Heermeister zu der
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