Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Arme zitterten, und ihre Finger krampften sich so fest um das Heft des Messers, dass sich die Nägel tief in ihr eigenes Fleisch bohrten. Sie spürte weder den Schmerz noch die Schweißperlen, die ihr über das Gesicht rannen. Sie wollte nicht versagen. Nicht hier und nicht jetzt und schon gar nicht nach dem, was sie alles durchgemacht hatte, um so weit zu kommen. Es gab nichts, das sie sich so sehr wünschte wie den Tod dieser Männer, und doch war es ihr, als hielte eine größere Macht ihre Hände in diesem entscheidenden Augenblick zurück.
Feigling , zischte die Stimme der Rache ihr zu. Dies ist die Zeit der Rache, deiner Rache. Bring es zum Ende!
Doch eine andere, sanfte Stimme trug ihr gleichzeitig die Erinnerung an etwas zu, das sie vor sehr langer Zeit von ihrer Großmutter gehört hatte: »Wir wurden zusammen mit allen Geschöpfen auf diese Erde gesetzt«, hatte die Alte den Kindern im Lager der Kurvasa erklärt, wohl wissend, das es für die Kinder wie Hohn klingen musste. »Sie sind mit uns eine Familie. Wir alle – auch jene, die wir hassen – sind Geschwister und gleich an Wert auf dieser Erde.«
Was kümmert dich das Gewäsch einer alten Frau , drängte die Stimme der Rache in ihr. Töte ihn!
Töte ihn jetzt!
Faizah keuchte auf, wie unter großem Schmerz. Sie zitterte nun am ganzen Körper. In ihren Augen standen Tränen.
Töte ihn! Die Stimme der Rache gab keine Ruhe. Töte ihn, töte ihn töte ihn … Die Worte wirbelten in ihren Gedanken wie ein berauschender Rhythmus. Sie peitschten die Flammen des Hasses unbändig in die Höhe, erweckten die grauenvollen Bilder der Vergangenheit erneut zum Leben und drängten die mahnende Stimme der Vernunft immer weiter zurück. Faizah zitterte noch immer, aber diesmal gelang es ihr, all ihre Abscheu, alle Verbitterung und allen Hass in die Kraft ihrer Arme zu legen und das Messer mit voller Wucht hinabzustoßen …
»Asnar ist mein Zeuge, dass ich diese drei hier lieber tot als lebendig sähe!« Eine große, schwielige Faust umfing Faizahs Handgelenk mit eisernem Griff, noch ehe sie die Bewegung vollenden konnte, und riss sie ruckartig in die Höhe. »Aber bei meiner Seele, ich kann es nicht zulassen, dass sie heimtückisch gemeuchelt werden.«
Das Messer entglitt Faizahs Händen, fiel klirrend zu Boden und war nicht mehr zu sehen. Sie schrie gepeinigt auf, fuhr herum und blickte in das bärtige Antlitz des rothaarigen Katauren, der die zweite Gruppe anführte. Vor Schreck war sie wie gelähmt, doch der Augenblick des Entsetzens währte nicht lange.
Mit einem wilden, knurrenden Laut, der von einem Tier hätte stammen können, bäumte sie sich auf und versuchte, sich dem Griff zu entziehen, indem sie mit der freien Faust wie wild auf den Arm ihres Gegners einschlug. Gleichzeitig schnappte sie mit den Zähnen nach dessen Hand und trat mit bloßen Füßen immer wieder gegen seine Beine.
Vergeblich. Der Griff um ihr Handgelenk lockerte sich nicht. Mühelos gelang es dem Bärtigen, auch den anderen Arm zu packen und ihr beide schmerzhaft auf den Rücken zu drehen. Faizah schrie erneut auf und sank in die Knie. Das wutverzerrte Gesicht den drei Uzoma-Stammesfürsten zugewandt, die aus tiefem Schlaf erschrocken aufgesprungen waren und sie nun mit einer Mischung aus Zorn und Entsetzen anstarrten, kauerte sie am Boden und ließ es ohne jede Gegenwehr geschehen, dass man ihr die Hände auf dem Rücken fesselte.
Sie hatte versagt! Sie hatte alles gewagt und alles verloren, und es gab nichts, mit dem sie ihren verwerflichen Plan würde rechtfertigen können.
Die Nacht war sternenlos und finster. Der Sturm, der Kelda und die anderen Überlebenden des Wagenzugs auf ihrer Reise zum Pass so rücksichtslos gepeinigt hatte, hatte sich verzogen, aber die schweren Wolken kamen noch immer von Westen heran und türmten sich an den Hängen des Pandarasgebirges zu gewaltigen Haufen. Aus dem undurchdringlichen Grau rieselten die Schneeflocken in stetiger Folge, doch gegen die Urgewalt des Sturms, der zuvor im Land gewütet hatte, war die Witterung erträglich geworden.
Kelda stand auf dem schmalen Wehrgang über dem großen zweiflügeligen Tor der Festung und starrte lange in die Dunkelheit hinaus.
Ihr Blick war so finster wie die Welt um sie herum.
Als ihr ein Wachtposten im Vorbeigehen einen kurzen Gruß zuwarf, antwortete sie nicht. Mürrisch ließ sie den Blick über die sanft gewellte Ebene am Fuß der Festungsmauer und entlang der dunklen Wälder
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