Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
können. Er schritt jetzt so schnell aus, dass sie Mühe hatten, ihm zu folgen. Immerhin führte der Weg nun geradeaus, und es bestand keine Gefahr mehr, sich zu verlaufen.
Der Tunnel musste gewaltig sein, denn es dauerte eine Weile, ehe Ajana bewusst wurde, dass es sanft bergab ging. Der Boden war hier auch nicht mehr mit den großen Steinplatten bedeckt, sondern von einer fugenlosen, festen Beschaffenheit, die Ajana sehr an Beton erinnerte. In regelmäßigen Abständen bemerkte sie Türen in den Wänden, die jedoch alle geschlossen waren und nichts von dem preisgaben, was sich dahinter verbarg.
Nachdem sie dem Stollen eine schier endlose Weile gefolgt waren, entdeckte Ajana einen dunklen Fleck auf dem hellen Boden. Das Licht der Leuchtkörbe war zu schwach, um zu erkennen, was er zu bedeuten hatte, doch nur wenige Schritte weiter folgte schon der nächste. Ajana ging darauf zu, hielt den Leuchtkorb darüber und beugte sich weit nach vorn …
Etwas Kaltes tropfte ihr jäh in den Nacken.
Wasser!
Ajana hob den Leuchtkorb und schaute nach oben. Über ihr war die Höhlendecke dunkler als das Gestein ringsumher, und es war feucht! Wassertropfen hingen an der Decke, vereinten sich und fielen schließlich zu Boden, wo sie sich in flachen Pfützen sammelten.
Je weiter sie gingen, desto größer wurden die Ansammlungen von Wasser. Eine erstreckte sich gar über die ganze Breite des Tunnels, sodass niemand ihn trockenen Fußes durchqueren konnte.
»Wir sind jetzt unter dem Arnad!«, hörte Ajana Nahma zu den Stammesfürsten sagen. Offenbar hatten die Baumeister der Gorneth diesen Tunnel geschaffen, um den Bewohnern der Stadt die Möglichkeit zu geben, den Arnad unterirdisch zu passieren.
Die Tatsache, dass dieses bauliche Meisterwerk all die Jahrhunderte nahezu unbeschadet überstanden hatte, sprach für die begnadeten Baumeister und vertiefte noch einmal den Respekt, den Ajana angesichts der imposanten Bauwerke für die Gorneth empfand.
In düsterer Endlosigkeit zog sich der Tunnel in die Länge; sie passierten Tür um Tor und umgingen die großen Pfützen. Lange waren sie nun schon unterwegs, viel länger als jemals zuvor, doch niemand schien die Erschöpfung zu spüren. Der beständige Luftzug streifte sie wie die Verheißung auf einen blauen Himmel und Sonnenschein, und obwohl keiner es laut aussprach, waren doch alle fest entschlossen, erst dann zu rasten, wenn sie die Enge und Düsternis dieser unterirdischen Welt hinter sich gelassen hatten.
Emos Atemzüge klangen ruhig und regelmäßig. Das bleiche Gesicht zeigte die ersten Anzeichen von steinernem Grau.
Der Dunkelgewandete ließ seine Worte langsam ausklingen. Die wilde Jägerin hörte ihn nicht mehr. Voller Ungeduld betrachtete er die fortschreitende Versteinerung der filigranen Blüten, die sich, von außen beginnend, langsam zur Mitte der Ruhestätte hin fortpflanzte. Aber er wagte es noch immer nicht aufzustehen, um die Halle zu verlassen und herauszufinden, was dort draußen vor sich ging.
Blüte um Blüte, Blatt für Blatt schlich die Versteinerung voran, und mit jedem Fingerbreit schwoll die Ungeduld des Dunkelgewandeten weiter an. Schließlich verlor er die Kontrolle und eilte, ungeachtet des noch unvollendeten Abbilds der wilden Jägerin, im schwindenden Licht der Ruhestätte durch die Halle.
Er hatte noch nicht einmal die Hälfte des Wegs zurückgelegt, als er zwischen den Torflügeln einen Schatten bemerkte. Der Dunkelgewandete reagierte sofort. Innerhalb eines einzigen Wimpernschlags bewegte er sich an die Stelle – und erschien wie aus dem Nichts direkt vor dem Wanderer, der die Halle soeben betreten hatte.
»Sieh an, der Wurm hat sich aus seinem Gefängnis befreit«, sagte er ruhig und fügte eine Spur schärfer hinzu: »Welch schändlichem Handel hast du deine Freiheit zu verdanken?«
»Nicht Handel und Verrat sind es, die die Geschicke der Welten lenken«, erwiderte der Wanderer ungerührt. »Oft genügt ein tapferes Herz, um den Lauf der Dinge zu beeinflussen.«
»Ein tapferes Herz. So, so.« Die Stimme des Dunkelgewandeten klang bedrohlich. Er hatte den Satz eben beendet, da verschwand er blitzartig von seinem Platz und tauchte im nächsten Augenblick hinter dem Wanderer wieder auf. »Was mag das wohl für ein tapferes Herz sein, das sich wie ein verängstigtes Kind hinter deinem Rücken versteckt?« Mit grimmiger Miene packte er Asza am Arm und zerrte sie in die Halle hinein. Die junge Göttin keuchte auf und wand sich
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