Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
für sie.
Wie war das möglich?
Durch die überraschende Wendung geriet die zur Schau getragene Überheblichkeit des dunklen Gottes ins Wanken. Er war nicht darauf vorbereitet, die junge Göttin hier anzutreffen und …
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass es in der Halle eine Spur heller wurde. »Fort mit dir!« Mit einer ruckartigen Bewegung fuhr er herum und deutete mit der ausgestreckten Hand auf Asza. Das machtvolle Wort und die herrische Geste beschworen jäh eine unsichtbare Geisterhand herauf, die die junge Göttin von Emo fortriss und einige Schritte von der Ruhebank entfernt zu Boden schleuderte.
»Mutter!« Aszas verzweifelter Aufschrei gellte durch die Halle …
… und in der Sphäre ertönte ein dumpfes Rumoren, wie von einem fernen Gewitter.
Alle lauschten, doch das Geräusch wiederholte sich nicht. Dafür drangen neue, kräftigere Lichtstreifen unter Emos halb versteinerter Gestalt hervor. Der Vorgang der Versteinerung kam zum Erliegen – und kehrte sich ins Gegenteil.
Fassungslos beobachtete der dunkle Gott, wie das Steingrau langsam von der Mitte der Ruhestätte aus zurückwich und immer neue farbige Blüten und Blätter im goldenen Licht erstrahlten. Ohne darauf Einfluss nehmen zu können, musste er mit ansehen, wie das Leben langsam in Emos hehre Gestalt zurückkehrte und die Halle aufs Neue im Glanz der wilden Jägerin erstrahlte.
»Ich komme also zu spät, wie?« Spöttisch verschränkte der Wanderer die Arme vor der Brust.
Der Dunkelgewandete stand wie erstarrt. Die drohende Niederlage trieb ihm eine heiße Welle des Zorns durch den Körper, und er spürte, dass er ihn nicht mehr lange würde unterdrücken können. Zorn auf die Körperlosen, die sich als unfähige Diener erwiesen hatten. Zorn auf den Wanderer, dessen hämisches Lächeln er selbst unter dem Schatten der breiten Hutkrempe noch zu sehen glaubte, und Zorn auf das Schicksal, das Emos verstoßene Tochter gerade jetzt von der auferlegten Sühne befreite.
Er war dem Triumph so nahe gewesen, doch nun gab es nichts, das er hier in den heiligen Hallen hätte ausrichten können. Jenseits der Grenze, am Fuße der Nebel, war auch seine Macht begrenzt, und er verfluchte sich selbst für seine Unachtsamkeit.
Mit einer knappen Handbewegung beschwor er eine gleißende Feuersäule, die vom Boden der Halle bis zur Decke emporloderte, und fegte sein angenommenes Aussehen mit einer beiläufigen Geste hinfort.
Wie schon einmal wählte er die Gestalt eines Jünglings in prachtvollen Gewändern, in der er dem Wanderer schon einmal in dieser Halle erschienen war, und wie zuvor verließ er sie auch diesmal nicht, ohne das Wort an seinen ärgsten Gegenspieler zu richten. »Für dieses Mal hast du gewonnen, alter Mann«, sagte er mit einer Ruhe, die nichts von seinem flammenden Zorn preisgab. »Aber die Hilfe, nach der es dich verlangt, wirst du hier nicht finden. Emo ist schwach. Die Tränen ihrer Tochter mögen sie noch einmal zurückgerufen haben, doch wird sie hier nicht verweilen können, ohne zu Staub zu zerfallen.« Ein unheilvolles Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Du bist immer noch allein, vergiss das niemals – und hüte dich vor Feuer und Schatten.« Ohne eine Antwort abzuwarten, hüllte er sich in seinen Umhang und trat mitten in die Feuersäule hinein. Seine Gestalt verschmolz fast augenblicklich mit dem blutigen Rot der Flammen, aber sein hämisches Lachen klang noch in der Halle nach, als die Feuersäule an Kraft verlor und im Boden versank, woher sie gekommen war.
Asza hockte am Boden. Ihr Gewand war staubig, und das schwarze Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Auf ihren Wangen schimmerten Tränen.
Die alten Götter haben sich schlafen gelegt.
Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass die Worte der Wahrheit so nahe kamen. Wohin sie auch blickte, überall sah sie versteinerte Körper auf prachtvoll gearbeiteten, grauen Ruhebänken. Was dereinst farbenfroh und voller Leben gewesen war, wurde nun von einer dicken Staubschicht bedeckt, die sich wie ein schmutziges Bahrtuch bis in den hintersten Winkel der heiligen Halle ausbreitete. Von dem hehren Glanz und der Machtfülle vergangener Zeiten war nichts mehr zu spüren. Die Halle wirkte verlassen und leblos wie eine Grabstätte.
In der jungen Göttin erwuchs eine tiefe Trauer um das, was verloren war, aber auch eine leise Wut auf jene, die gegangen waren.
Warum hatten sie nicht gekämpft? Warum sich wie beleidigte Kinder zurückgezogen, als sie ihre Macht
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