Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Innern ahnte jeder, dass die Elbin Recht hatte, doch der Gedanke, welch gewaltige Opfer die Angehörigen der Vereinigten Stämme zu erbringen hatten, schnürte ihnen die Kehle zu.
»Da hat sich die Hohepriesterin der Uzoma wahrlich mächtige Verbündete gesucht.« Wieder war es Bayard, der die Sprachlosigkeit als Erster überwand. Betrübt schüttelte er den Kopf. »Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie sich so schnell von der Niederlage erholt.«
»Sie hat sich Verbündete gesucht?«, warf Artis kopfschüttelnd ein. »O nein. Sie hat sich diese Wesen erschaffen! Sie ist eine mächtige Magierin.«
»Sie ist nicht nur mächtig, sie ist auch besessen.« Mayleas hasserfüllte Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. »Besessen und grausam.« Die junge Wunand atmete in kurzen, heftigen Stößen, und ihre Stimme bebte. Ihr Blick war starr auf die gegenüberliegende Höhlenwand gerichtet, als durchlebte sie in Gedanken noch einmal die grauenhafte Folter der Uzoma.
»Quäle dich nicht mit den Schatten der Vergangenheit.« Sanft legte Ylva ihr die Hand auf den Arm, doch so leicht ließ sich Maylea nicht beruhigen. Die Fäuste in hilflosem Zorn geballt, rief sie voller Hass: »Wenn ich sie finde, wenn ich sie jemals finde, werde ich sie töten! Emo!«
»Du bist nicht die Einzige, die dieser Schlange nach dem Leben trachtet«, pflichtete ihr Bayard grimmig bei. »Doch wie sollen wir sie finden? Die Feurigen Berge – die Orma-Hereth – liegen weit im Norden, und die magischen Nebel über dem Arnad verwehren es uns, dorthin zu gelangen.« Er seufzte und schüttelte mutlos den Kopf. »Welch ein grausames Spiel das Schicksal doch treibt. Da werden uns die Nebel viele Winter lang als Rettung verheißen, und nun, da die Kriegsgefahr gebannt ist und der Feind jenseits der Nebel lauert, fuhren ausgerechnet sie Nymath in den Untergang.« Er blickte Inahwen von der Seite her an. »Ihr spracht davon, die Feuerwesen so lange an einen Ort zu binden, bis ein Gegenschlag erfolgen kann. Doch wie lange sollen die Menschen das durchhalten? Bis es nichts Brennbares mehr auf ihrem Land gibt? Bis auch die Wälder rings um die Gehöfte abgeholzt sind und der letzte Halm von den Feldern verbrannt ist? Bis es in ganz Nymath keinen einzigen Baum mehr gibt? Oder bis …«, sein Blick wanderte zu Ajana, doch er sprach nicht aus, was er gerade dachte. »Wie sollen wir jene Eine vernichten, der die Feuerwesen dienen?«, fuhr er heißblütig fort. »Wie soll uns das gelingen? Mit den Nebeln über dem Arnad haben wir uns selbst den einzigen Weg versperrt, auf dem wir zu ihr gelangen könnten.«
»Mäßige dich, Heermeister. Deine Worte sind ungebührlich!«, ermahnte Inahwen den Katauren streng. »Vergiss nicht, dass die Nebel Nymath viele hundert Winter lang vor den Uzoma beschützt haben. Gaelithil konnte nicht ahnen – niemand konnte ahnen –, welch tückischen Plan die dunklen Mächte schmieden würden.«
»Nein, das konnte sie nicht«, stimmte Bayard der Elbin zu. »Doch ist es angesichts der neuerlichen Bedrohung auch nicht zu leugnen, dass wir uns damit tief ins eigene Fleisch geschnitten haben – sehr tief!« Er erhob sich und blickte mit düsterer Miene in die Runde. »So tief, dass Nymath und die Vereinigten Stämme daran zu Grunde gehen werden, wenn nicht ein Wunder geschieht.«
Ajana spürte den Blick des Heermeisters auf sich ruhen und wand sich innerlich vor Unbehagen. Sie selbst hatte sich nie als die glorreiche Retterin Nymaths gefühlt, so wie es die anderen vielleicht gesehen haben mochten. Sie hatte nur helfen wollen und letztlich so gehandelt, wie es ihr vorherbestimmt war. Nur deshalb hatte sie ihre Gabe zum Wohle Nymaths eingesetzt.
Zum Wohle Nymaths …
Hatte sie das wirklich?
Hatte sie nicht die ganze Zeit gespürt, dass irgendetwas nicht stimmte? Immer und immer wieder?
Ajana kannte die Antwort: Ja, sie hatte es tief in sich gespürt und dann verdrängt, aber vergessen hatte sie es nicht. Die nagenden Zweifel an der Richtigkeit ihres Handelns waren niemals ganz verstummt.
Auf unbestimmte Weise fühlte sie sich mitschuldig an dem, was nun geschah. Die unerwartete Wendung des Schlachtenglücks machte Ajana zutiefst betroffen. Warum nur hatte sie nicht auf ihre innere Stimme gehört? Warum sich widerspruchslos in ihr angeblich vorherbestimmtes Schicksal gefügt?
Weil auch du nur ein Mensch bist, flüsterte ihr eine innere Stimme in diesem Augenblick hämisch zu. Weil auch du nur an dich und deinen eigenen
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