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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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unten und betrachtete sie über deren Rand hinweg. Er war sichtlich überrascht.
    Pass auf die Straße auf!, hätte sie am liebsten geschrien. Stattdessen wandte sie demonstrativ den Blick ab und tat es selbst. Sieh dir die vielen Autos an, Marco. Du fährst einhundertzehn. Wäre es da nicht ratsam, auf den Verkehr zu achten? Aber sie erwiderte nur: » Dito . Damit meine ich, dasselbe könnte ich zu dir sagen.«
    Er dachte kurz darüber nach und nickte zustimmend. »Gut. Wir denken ähnlich.« Und schon trat er wieder aufs Gas.
    Hm, vielleicht hatte er ja Recht. Gestern Abend hatte sich Cari gefühlt, als stehe sie unter Schock. Sie hatten sich umarmt, sich auf die Wangen geküsst und waren geradewegs ins Paradiso gegangen, wo sie gemeinsam frischen Thunfisch mit Nudeln gegessen und Wein getrunken hatten. Ihre Unterhaltung hatte sich nicht um die Gründe, aus denen sie England verlassen hatten, sondern um Lucca gedreht.
    »Ich wohne nicht weit von hier«, hatte er gesagt, ohne näher darauf einzugehen.
    »Wo denn?«, fragte sie herausfordernd.
    Aber er lachte nur. »Morgen zeige ich es dir auf der Karte.«
    Morgen? Er schien anzunehmen, dass sie einige Zeit miteinander verbringen würden. Hatte er vor, ihr seine Heimat zu zeigen, so wie sie ihm Brighton gezeigt hatte?
    Als er sie schließlich untergehakt zu ihrer Wohnung zurückbegleitete und sie entspannt über dies und jenes plauderten, fragte er sie endlich, warum sie in Lucca sei.
    »Das erzähle ich dir morgen«, erwiderte sie verschmitzt. »Wenn wir die Karte studieren.«
    Er drehte sie zu sich um, sodass sie ihn ansehen musste. Die Geschäfte mit Schmuck, Lederwaren und toskanischen Delikatessen, die die Straße säumten, waren immer noch hell erleuchtet. Durch die dünnen Sohlen ihrer Sandalen spürte sie die Wärme, die das Kopfsteinpflaster in der Hitze des Tages gespeichert hatte, und in der Via Fillungo hing der Duft nach Mozzarella und Olivenöl, gebratenen Paprika und panini in der Luft.
    »Du wolltest allein herkommen?« In dem gedämpften Abendlicht wirkten seine Augen dunkler denn je. In seinem Blick lag eine Herausforderung.
    »Ja.«
    »Und Dan?«
    Cari zögerte. Sie hatte nicht so oft an Dan gedacht, wie sie es hätte tun sollen, und nicht so oft, wie sie versprochen hatte. Ihre gemeinsamen Jahre wurden von etwas überschattet – von diesem italienischen Abenteuer, von der intensiven Beschäftigung mit der ungewohnten Umgebung und Tasmins Tagebuch sowie von der langwierigen Suche nach ihrer geheimnisvollen Großmutter. Was war zwischen ihnen geschehen? Hatte sie sich verändert und von Dan entfernt? Oder hatten sie sich schlicht in verschiedene Richtungen entwickelt und brachten es beide nicht über sich, den Bruch herbeizuführen, der ihnen die Freiheit schenken würde zu gehen?
    Cari betrachtete Marco. Dieser Schritt ins Ungewisse machte ihr Angst.
    Früher wollte Dan wissen, was sie dachte, was in ihr vorging, wie sie ihren Tag verbrachte, was den Menschen Cari ausmachte. Dann schien er anzunehmen, alles über sie zu wissen und was das Beste sei. (Das Beste für ihn? Für sie? Für sie beide?) Vielleicht hatten sie aufgehört, sich gegenseitig solche Fragen zu stellen wie »Wer bist du?«, »Wie fühlst du dich?«, weil zwei Individuen zu einer Einheit verschmolzen waren. Aber sie und Dan waren doch nicht nur eine Einheit! Jeder Mensch existierte als Individuum. Und es war auch nicht natürlich. Innerhalb einer Einheit konnte man sich nicht weiterentwickeln, sondern wurde eingeengt.
    Marco und Cari schlenderten ein Stück weiter die Straße entlang. Sie spürte Marcos Arm. Und Dan? Was war jetzt mit Dan? Augenblicklich befand sie sich auf einer Reise, und sie war sich keineswegs sicher, ob Dan dabei eine Rolle spielte. Es tut mir leid, Dan, dachte sie.
    »Wir brauchen ein wenig Abstand voneinander«, antwortete sie. »Vielleicht für länger.« Vielleicht für immer.
    Als sie bei ihrer Wohnung angelangt waren, schloss er beide Hände um ihr Gesicht, küsste sie sanft auf den Mund und zog sie in eine unbeleuchtete Nische. Dabei schreckten sie eine dürre streunende Katze aus dem Schlaf. Mit einem Satz sprang sie an ihnen vorbei und lief vorwurfsvoll miauend davon.
    Der Kuss wollte und wollte nicht enden. Schließlich klammerte sich Cari wie eine Ertrinkende an Marcos Schultern und gab sich ganz diesem Kuss hin. Einen Lidschlag lang hatte sie das Gefühl, sich aufzulösen, zu zerfließen, und sie warf alle Bedenken über Bord. Er presste sie an

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