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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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was nie wieder!«, knurrte er. »Nie wieder!«
    Sie merkte, dass er getrunken hatte. Whisky ließ ihn handgreiflich werden. Gewalttätig.
    »Lass mich los«, forderte sie.
    Er drückte nur noch stärker zu.
    Sie würde sich weder Angst noch Schmerz anmerken lassen, denn das funktionierte bei Richard ohnehin nicht. Mitgefühl war für ihn ein Fremdwort. Er wollte Macht ausüben, Menschen kontrollieren. Das befriedigte ihn.
    »Lass los, hab ich gesagt!« Sie sah ihm fest in die Augen. Auch sie kämpfte darum, die Oberhand zu behalten.
    Er lockerte den Griff ein wenig.
    »Ich diskutiere das nur mit dir, wenn du mich loslässt«, versuchte sie zu verhandeln. Obwohl er klargemacht hatte, dass es keine Diskussion darüber geben würde. Aber wenn er sie losließe, könnte sie sich umdrehen und gehen. Nur – wohin?
    Verächtlich ließ er ihren Arm los, als wäre es unter seiner Würde, sie überhaupt zu berühren.
    Einen kurzen Moment verspürte sie Erleichterung – bis ein Schlag auf ihrer Wange brannte, sie zur Seite schleuderte und ihr den Atem nahm. Dieser Bastard! Immer musste er das letzte Wort haben.
    »Nun?«, fragte er.
    Dies war nicht der richtige Zeitpunkt. Aurelia bemühte sich um eine würdevolle Haltung und ging mit hoch erhobenem Kopf davon. Erst wenn sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hatte, würde sie weinen. Sie würde jedoch nicht aufhören, sich mit Ruth zu treffen. Ruth war nicht ihre Geliebte, aber ihr Rettungsanker. Ihre Stärke und ihre Zuflucht. Ruth war der Meinung, sie solle Richard verlassen, war immer der Meinung gewesen, sie solle Tasmin nehmen und gehen. »Viele Frauen tun das«, sagte sie. »Frauen, die weit weniger ertragen müssen als du.«
    Doch Ruth hatte keine Familie. Sie begriff nicht, wie abgöttisch Tasmin ihren Vater liebte, und konnte sich nicht vorstellen, dass es auch gute Zeiten gab. Sie wusste nichts von Familienbanden und der Notwendigkeit, etwas durchzustehen, wie schlimm die Dinge auch sein mochten. Und Aurelia wusste, dass dies keine Schwäche, sondern eine Stärke war. Kein Aufgeben, sondern Kampf. Ein Kampf um die Herrschaft.
    Einen Augenblick schien das Sonnenlicht gedämpfter zu werden, und Aurelia merkte, dass ihr Gesicht halb unter Wasser war. Die Wellen schlugen über ihr zusammen, als sei sie ein Stück totes Holz. Entschlossen drehte sie sich wieder auf den Bauch. Sie war weit hinausgetrieben. Mit kräftigen Zügen schwamm sie Richtung Küste, kraulte, pflügte gegen die Strömung durchs Wasser. Doch ganz allmählich gewann die Strömung die Oberhand.
    Schon nach wenigen Minuten ermüdete Aurelia. Sie zwang sich, langsamer zu schwimmen, und fragte sich zum ersten Mal, ob sie sich vielleicht doch zu weit hinausgewagt hatte. Kam sie überhaupt voran? Würde sie es schaffen? Auf welche Weise konnte sie verhindern, wie Treibgut ins offene Meer hinausgezogen zu werden? Wie sollte sie mit der Angst umgehen, die in ihr aufstieg, Adrenalin freisetzte, ihr Krämpfe bescherte und sie zu überwältigen drohte? Sie fürchtete, dass sie dem kaum etwas entgegensetzen könnte.
    Im selben Augenblick stieg eine Erinnerung in ihr auf, drängte in ihr Bewusstsein. Sie schob sie fort. Dafür war jetzt keine Zeit. Mit fünfundsiebzig wollte sie noch nicht sterben, und ganz gewiss nicht im Meer wie Percy Shelley. Erst der Dichter, dann die Malerin. O nein.
    Sie zwang sich, ruhig zu atmen und langsam und gleichmäßig weiterzuschwimmen. Ganz gemächlich. Sie durfte sich nicht verausgaben. Fließende Bewegungen. Ruhe bewahren!
    Stetig schwamm sie weiter, nicht zum Strand, sondern Richtung Felsen, weil sie dabei nicht so stark gegen die Strömung ankämpfen musste. Die Felsen hier draußen waren tückisch, aber immerhin festes Land. Näher und näher – mit Muscheln übersät, düster und gefährlich ragten sie vor ihr auf.
    Eine letzte Anstrengung. Sie griff zu und hielt sich fest, verzweifelt mit den Füßen Halt suchend. Sie sah das Blut, kümmerte sich jedoch nicht darum. Im Wasser schwebend, klammerte sie sich an den Fels, ritt auf den Wellen, damit ihre Beine nicht gegen die Felsen schlugen.
    So wartete sie eine halbe Ewigkeit, bis die See sich beruhigte, die Strömung nachließ. Mit neuer Kraft stieß sie sich ab. Jetzt konnte sie es bis zur Küste schaffen.
    Sicherheitshalber blieb sie nahe an den Felsen, für den Fall, dass sie eine Pause brauchte oder wieder einen Krampf bekam. Meter für Meter legte sie zurück. Ihre Glieder schmerzten, der Schreck saß tief. Aber nun war

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