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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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es gut. Sie würde es schaffen. Aurelia schwamm, bis sie merkte, dass das Wasser heller wurde und sie wieder stehen konnte. Die Wellen waren nur noch ein Wispern und wirkten harmlos. Sie versuchte, darüber zu lachen, hievte sich mühsam aus dem Wasser und wickelte sich in ihr rotes Handtuch. Ich fühle mich wie neunzig, dachte sie reuevoll, ehe sie auf dem Strand zusammensackte.
    Die Erinnerung wurde klarer. Cornwall. Ihr Vater. Gramma Hester. Überall Wasser um sie herum, unter ihr, über ihrem Kopf zusammenschlagend. In ihren Ohren, in der Nase, in den Augen. Sie ringt nach Luft, ihre Lungen schmerzen, ihr Kopf scheint zu platzen. Ein Moment – eine Ewigkeit – voller Dunkelheit. Ein tiefschwarzer Tunnel, in den sie kopfüber eintaucht.
    Tageslicht dringt in ihr Bewusstsein. Helles Licht, der Geruch nach Erbrochenem und besorgte Gesichter. Sie schnappt Fetzen der Unterhaltung auf. Wieso hast du so lang gebraucht? Ich habe dich gesehen. Du hast am Strand gestanden und zugeschaut. Was hast du dir nur dabei gedacht, um Gottes willen?
    Nicht jetzt. Nicht jetzt.
    Schritte knirschen auf dem Kies, kommen näher und wühlen den nassen Sand auf. Mutter.
    »Aurelia! Meine Kleine!«
    Sie ist in Sicherheit. Ich bin in Sicherheit. Ich bin hier. Sie ist wieder da.
    Aber sie hatte diese Erinnerung verdrängt. Sie hatte keine Ahnung, wann das passiert war.
    Aurelia wusste nicht mehr, wie lange sie auf den warmen Kieseln gesessen hatte. Lange genug, um zu ihrem Gleichgewicht zurückzufinden – falls das überhaupt möglich war. Lange genug, um neue Kräfte zu sammeln. Und lange genug, um sich zu erinnern.
    Cari hatte das Gefühl, Gespenster zu sehen. Der Tag in Pisa war lang und anstrengend gewesen, und sie hatte aufgeatmet, als sie in das relativ ruhige Lucca zurückgekehrt war. Eigentlich hatte sie nur den Wunsch gehabt, einen caffèlatte im Paradiso zu trinken, vielleicht eine Portion Pasta zu verdrücken, sich einen Prosecco zu genehmigen und dann schlafen zu gehen. Doch dann hatte sie etwas gesehen … War es eine Fata Morgana …?
    Sie blinzelte. Nein. Das konnte doch nicht wahr sein! Sie war nach Lucca gereist, um ihre Großmutter ausfindig zu machen – und nicht …
    Sie beobachtete, wie er sich nach links wandte und in einer der Arkaden des Palazzos verschwand. Schlank, dunkel, nur ein wenig größer als sie selbst. Sahen nicht die meisten jungen Italiener so aus? Nein – nicht ganz.
    Cari eilte zum Palazzo – zu ebender Arkade, in der er verschwunden war. Sie wollte ihn sehen – natürlich wollte sie ihn sehen. Und doch …
    Abrupt blieb sie unter dem Bogen stehen, lehnte den erhitzten Rücken gegen den kühlen weißen Stein. Was machte Marco hier? Ein scheußlicher Verdacht keimte in ihr auf. War er ihr etwa gefolgt? Stellte er ihr nach?
    Ehe sie sich entschließen konnte – bleiben oder gehen –, kam er zurück. Er schien einfach an ihr vorbeispazieren zu wollen. Dann – womöglich spürte er ihren prüfenden Blick – wandte er plötzlich den Kopf.
    »Cari?« Niemand hätte dieses Erstaunen in den schwarzen Augen vortäuschen können. Oder das breite Lächeln, das von einem Ohr zum anderen reichte. »Cari?«
    » Ciao , Marco.« Cari ging ihm entgegen und fühlte sich von seinen Armen umfangen. Im Augenblick spielte es keine Rolle, aus welchen Gründen sie beide hier waren.

K
apitel 24

    »Es will mir einfach nicht in den Kopf«, sagte Marco. »Wieso hast du mir nicht erzählt, dass du nach Italien fährst?«
    Es war am folgenden Tag. Sie verließen Lucca, nicht wie ursprünglich geplant in Caris gemietetem Fiat, sondern in Marcos verbeultem rotem Maserati, einem Zweisitzer mit Ledersitzen und einem Armaturenbrett aus Nussbaumholz. Meine erste Bekanntschaft mit seinem Fahrstil, dachte sie mit einem Anflug von Galgenhumor, als Marco plötzlich ohne Vorwarnung ausscherte, um einen Lastwagen zu überholen, und sich dann, ohne zu blinken, wieder einordnete. Dass die Italiener Meister darin waren, sich auch noch durch das dichteste Verkehrsgewühl elegant hindurchzuschlängeln, war ihr bereits aufgefallen. Vermutlich entwickelten sie schon in frühester Jugend einen sechsten Sinn für das Vermeiden von Zusammenstößen. Auf den Straßen verhielt man sich aggressiv, aber wie üblich in Italien entflammte der Zorn plötzlich und spontan und endete eher in Gelächter und gegenseitigem Schulterklopfen als in Handgreiflichkeiten.
    »Dito« , bemerkte sie.
    »Hm?« Mit dem Zeigefinger schob er die Sonnenbrille nach

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