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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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Freunde oder zukünftige Ehemänner hierherzerrten. Cari musterte den Mann. Er war allein und nicht gerade beeindruckt.
    Sie hatte nur einen Wunsch: nach Hause zu gehen. Ein langer Tag lag hinter ihr. Seit dem Besuch der ersten Kundin um neun Uhr dreißig hatte sie den Laden nur einmal verlassen, um sich einen Bagel aus der Bäckerei nebenan zu holen. Ließ sie das Leben etwa an sich vorüberziehen?
    Weshalb war dieser Mann so sehr an ihrem Schaufenster interessiert?
    Als sie sich abwandte, stieg ihr der Hauch eines betörenden Duftes in die Nase. Auch das noch! Die Lilien brauchten vor dem Wochenende noch frisches Wasser. Sie streifte die Handtasche von der Schulter, trug die Blumenvase in ihr Atelier und füllte sie unter dem Wasserhahn auf.
    Nein, heute würde sie nicht kochen, entschied sie. Und mit Dan würde sie sich auch nicht treffen. Sie würde sich beim Chinesen eine Kleinigkeit zu essen holen und dazu den Chardonnay trinken, der bereits gut gekühlt im Eisschrank lag. Es war eine verlockende Aussicht, allein zu sein und früh ins Bett zu gehen. Du meine Güte! Behutsam stellte sie die Vase auf ihren Schreibtisch. Alle Welt, selbst ihre Mutter, ging am Samstagabend aus, um sich zu amüsieren. Und sie? Sie war neunundzwanzig und nicht etwa fünfzig. Sollte sie ihre Zeit nicht lieber in einem Club verbringen oder mit Dan ein romantisches Abendessen in einem eleganten Restaurant genießen? War es nicht beunruhigend, dass sie den Abend lieber allein verbringen wollte? Sie straffte die Schultern. Aber warum eigentlich nicht? Schließlich hatte sie einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich und sehnte sich nach Muße und Entspannung.
    Sie ordnete die Lilien neu. Sie war seit jeher unabhängig, und wenn Dan kein Verständnis dafür besaß … Es war schließlich nicht gerade ein Zuckerschlecken, ein kleines Unternehmen zu führen und am Samstagabend zu arbeiten, um die Termine einzuhalten. Doch die Selbständigkeit hatte auch gute Seiten. Man besaß völlig freie Hand. Niemand, dem man Rechenschaft schuldete. Cari lächelte versonnen. Ob das auch für ihre Beziehung galt?
    Sie blickte auf. Der Passant hatte sich nicht vom Fleck gerührt; er stand immer noch direkt vor dem Schaufenster.
    Irgendwie seltsam. Nun ja … Sie nahm ihre braune Wildledertasche und ließ den Blick ein letztes Mal prüfend durch den Raum wandern. Alles war, wie es sein sollte. Die Garne und Stoffe lagen akkurat in den Regalen, die Kleider hingen ordentlich auf Bügeln. Bügeleisen und Nähmaschine waren ausgeschaltet. Wenn es nach Dan ginge, würde er zu ihr ziehen, aber Cari war dazu noch nicht bereit. Sie brauchte das Gefühl von Eigenständigkeit und schätzte den Freiraum, den sie sich oft erkämpfen musste. Sollte sie ihre Freiheit aufgeben? Sie zuckte die Schultern. Andererseits war Dan ihr Freund und besaß somit ein Anrecht darauf, mit ihr zusammen zu sein.
    Ein Geräusch von draußen riss sie aus den Gedanken. Der Mann war immer noch da – na, das war ja wohl ein ausgedehnter Schaufensterbummel. Sie runzelte die Stirn. Welcher Mann interessierte sich so sehr für Hochzeitskleider? Plötzlich wurde ihr klar, dass er nicht die Auslage betrachtete, sondern das Ladeninnere. Er hatte das Gesicht an die Scheibe gepresst …
    Irgendetwas war faul daran. Instinktiv zog Cari sich aus dem Lichtkegel zurück. Womöglich waren im Verkaufsraum Dinge, die ihn interessierten – weiße Hochzeitsschuhe oder Sandalen, die Vitrine mit dem exklusiven Kopfschmuck. Aber eigentlich war das kaum vorstellbar. Er war relativ jung, vielleicht um die dreißig. So ein interessierter Bräutigam war Cari noch nie begegnet. Um solch ein Exemplar würden sich die Frauen garantiert reißen.
    Aber irgendetwas stimmte da nicht. Er schien nach etwas Speziellem Ausschau zu halten – oder auch nach jemand Speziellem.
    Lächerlich! Sie benahm sich wirklich albern. Trotzdem warf sie beinahe unwillkürlich einen prüfenden Blick auf die Ladentür. Sie war abgeschlossen. Logisch. Es konnte also gar nichts passieren. Sie war sicher – oder nicht? Ihr Tag war wohl doch etwas zu anstrengend gewesen, sonst würde ihr diese Situation nicht so zusetzen. Die letzte Kundin hatte den Laden um sechs verlassen, selig über das Hochzeitskleid aus Tüll mit dem herzförmigen Ausschnitt, das Cari für sie entworfen hatte. Sie selbst war – wie so oft – noch geblieben, um an Entwürfen zu arbeiten und zu nähen. Tätigkeiten, denen sie sich in den ruhigen Abendstunden widmete, da

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