Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
saß. »Ich habe etwas für Sie, Sara Timpone«, sagte er und ließ die Bernsteintriskele in ihren Schoß fallen.
Als Stefano die Armlehne mit seinem Taschenmesser aufgestemmt und sie die Triskele auf einem Bett aus schwarzer Seide entdeckt hatte, wusste Cari sofort, dass sie ohne Zweifel das echte Stück gefunden hatten. Sie ließen es von Hand zu Hand gehen, bewunderten das warme goldene Leuchten des Bernsteins und die kunstvoll in das Silber eingravierten Spiralen.
»Ich hätte das Versteck schon viel früher erraten müssen!« Marco schüttelte den Kopf. »Im Herzen des Labyrinths. Wo sonst hätte die Lösung des Geheimnisses zu finden sein sollen?«
Ja, wo sonst?
Jetzt hielt Sara den kostbaren Talisman in ihrer faltigen Hand und nickte bedächtig.
»Er hat nur Unglück gebracht«, wiederholte Marco.
»Er hat nur Unglück gebracht«, schnaubte Sara, »weil ihn zwei Familien gleichzeitig besitzen wollten. Zwei Familien waren der Überzeugung, der Bernsteinanhänger gehöre ihnen.«
Marco zuckte die Achseln. »Hauptsache, du bist jetzt zufrieden, Großmutter.« Er legte den Arm um Cari.
Es war so verlockend. Nur für einen Augenblick lehnte sie den Kopf an seine Schulter, um ihn noch einmal zu spüren, bevor sie ihn für immer verlor. Denn das war unvermeidlich, nicht wahr? Sie hatte ihre Familie gefunden, kannte ihre Herkunft. Sie hatte einen Ort gefunden, der ihr Zuhause werden würde. Marco jedoch würde ihr niemals gehören.
»Pah!« Sara mochte zwar alt sein, aber ihr entging so schnell nichts. Sie wandte sich an Aurelia. »Mein Enkel, dieser Verräter, hat mir erzählt, dass Antonio Bianchi Ihre Großmutter Hester beauftragt hat, Ihnen das Schmuckstück zu geben …«, sie verbesserte sich, »… die Kopie des Schmuckstücks.«
»Ja.« Aurelia lächelte. »Meine Großmutter hat früher einige Jahre in Ligurien gelebt, wissen Sie. Oft hat sie mir von der Landschaft erzählt, die sie so geliebt hat. Das war einer der Gründe, warum ich immer nach Italien reisen wollte.«
»Es ist aber ein ziemlich eigenartiger Zufall, dass Antonio sich ausgerechnet in ihre Tochter verliebt hat.« Cari fragte sich, in welchem Teil Liguriens Hester gelebt haben mochte und weshalb sie überhaupt nach Italien gekommen war. Wahrscheinlich würden sie das nie herausfinden.
»Pah!«, sagte Sara verächtlich. »Du bist noch jung und weißt nicht, dass es so etwas wie Zufall nicht gibt.« Sie umklammerte den Anhänger. »Ich habe Hester Hamilton gekannt. Sie hat hier zwei Jahre gelebt, weil ihr Vater in Genua gearbeitet hat. Im diplomatischen Dienst oder so ähnlich …«
Wer von ihnen staunte jetzt am meisten? Aurelia vielleicht.
»Sie hat im Dorf gewohnt?«
»Aber sicher«, erwiderte Sara mürrisch. »Sie hat im Dorf gewohnt und war ganz vernarrt in Gino Bianchi.«
»Meinen Vater?« Nun sah Elena verblüfft aus.
Sara genoss die Aufmerksamkeit sichtlich. »Natürlich wollte die Familie davon nichts wissen.« Sie lachte kehlig. »Denn Hester war nicht katholisch.« Sie funkelte Cari an. »Und sie war keine von uns.« Dann streckte sie auffordernd die Hand mit dem leeren Grappaglas aus.
Stefano gehorchte geflissentlich und schenkte ihr nach.
Die anderen waren sprachlos.
»Also wurde die kleine rothaarige Hexe schnellstens nach England zurückgeschickt.« Erneut warf Sara Cari einen bösen Blick zu.
Es wurde immer offensichtlicher, wie sehr Marcos Großmutter sie hasste. Unbehaglich rückte Cari von ihm ab. Warum sich quälen, wenn sie ihn sowieso nicht haben konnte?
»Als Antonio zum ersten Mal in Port Isaac aufgetaucht ist …?«, fragte Aurelia.
»Ich wage zu behaupten, dass Gino ihn geschickt hatte. Wahrscheinlich hat Antonio eine Nachricht seines Vaters an die ehemalige englische Liebste überbracht.« Sara zuckte die Achseln. »Es war nicht schwer, auf den Trampdampfern zwischen Genua und Penzance Arbeit zu finden. Nicht schwer. Hmpf.« Sie nahm noch einen kräftigen Schluck, der ihre Zunge löste. »Die gute Hester war vermutlich nicht allzu begeistert darüber, dass Antonio sich in ihre Tochter verguckt hat und sie dann sitzenließ, genau wie Gino es mit ihr gemacht hatte. Das hat sicher ungute Erinnerungen geweckt.«
»Gino …«, wiederholte Aurelia selbstvergessen.
Elena packte sie am Arm. »Er ist es!«
»Wer ist was?« Aurelia sah verwirrt aus.
Cari jedoch schaltete sofort. »Hesters südländischer Matrose!« Sie wandte sich an Aurelia. »Dein südländischer Matrose – deine Statue im Labyrinth.
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