Das Erbe der Vryhh
Materialien der Panzerung verbunden, mit dem molekularverdichteten Metall, das man auch für die Außenwände von Raumschiffen verwendet, die Hände Aleytys’ tasten verzweifelt umher, aber sie bekommen nichts zu fassen, Panik entsteht in ihr, sie sieht den verbrannten und zerschmetterten Leib ihrer Mutter, darf Kell nicht den Sieg überlassen, nein, auf keinen Fall, sie entdeckt die kleinen Motoren, die die Gelenke bewegen, und Harskari bringt sie in die Halbphase, so daß Aleytys mit den Händen Gegenstände der realen Welt berühren und manipulieren kann, und sie schlägt auf alles ein, das sie zu Greifen bekommt, reißt und zerrt und zerbricht, zerstört die kleinen Motoren, läßt Schultern, Ellenbogen und Handgelenke zersplittern, auch die Knochen der Hüften, Knie und Beine, o, Kell, o Kell, o Vetter, dazu bin ich nur imstande, weil du es mich lehrtest, und erneut in die Höhe, die Waffen außer Gefecht setzen, die Ladekapseln entfernen, hier warst du nicht ganz so vorsichtig. Harskari in ihrer Begleitung, dicht neben ihr, mit weißem Haar, das ihr dunkles und besorgtes Gesicht säumt, Lee, ruft sie, Lee, genug, kümmere dich um Shareem, Lee, wende dich von ihm ab, ich bringe dich zurück. Lee, hörst du mich denn nicht? Schließlich ist die Stimme Harskaris mehr als nur ein leises Summen in den Ohren Aleytys’, sie begreift nach einer Weile, was jene Worte bedeuten, sie weicht zurück, verläßt die Schleuse und betritt den Landeteller und fällt auf die Knie, als sie wieder in die reale Welt zurückkehrt. Der Körper Shareems stürzt weiter und prallt neben Aleytys auf den Boden.
Die junge Frau spürt nun wieder ihr Gewicht wie eine jähe Bürde auf den Schultern, so schwer, daß sie die Belastung kaum zu ertragen vermag. Sie nimmt den Gestank des verbrannten Fleisches ihrer Mutter wahr, greift nach der Kraft in ihrem Innern, tastet umher und kann den Strom nicht finden, so etwas geschah schon einmal, ruhig, ganz ruhig, kontrolliere dich, greife besonnen und behutsam nach der Energie, du bist nur müde, laß dich von der Kraft ganz ausfüllen, so als sei sie kühles Wasser, das deinen Körper durchströmt, es dauert nur einige wenige Sekunden, mehr nicht, es ist keine Zeitverschwendung, ohne das schwarze Wasser kannst du überhaupt nichts unternehmen … Auf den Knien rutscht sie an den Leib ihrer Mutter heran und streckt die Hände aus. Shareem scheint sie zu sehen, oder ihre Gegenwart zu spüren, und die Reste des Lebens in ihr weichen zurück, als fürchteten sie, von Aleytys berührt zu werden, die die Wunden heilen will. Sie flakkert wie die Flamme einer Kerze im Wind, flackert und verblaßt, und Aleytys kann nichts dagegen tun. Sie möchte sterben, sie weigert sich, meine Hilfe anzunehmen und zu leben. Sie ist tot. Meine Mutter ist tot.
Harskari rief. Rief ihr irgend etwas zu. Für eine Zeitspanne, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, konnte Aleytys nicht verstehen, worum es der Uraltseele in ihrem Innern ging, dann begriff sie und war entsetzt. »Nein! Du kannst nicht von mir erwarten, daß ich …
Nein! Das ist grotesk! Auf keinen Fall werde ich … Ich kann es nicht … Nein. Niemals. Kommt überhaupt nicht in Frage.«
>Warum nicht?<
»Dies ist meine Mutter, nicht irgendeine Leiche.«
>Macht das einen Unterschied?<
»Was?« Aleytys blickte auf den abkühlenden Leib hinab, dem nun schon die eigentümliche Schlaffheit einer toten Hülle zu eigen war. »Nein«, sagte sie, »ich kann es nicht, und ich will es auch gar nicht.« Sie schluchzte, und Tränen rannen ihr über die Wangen.
Zum zweitenmal hatte ihre Mutter sie verlassen, und diesmal war es schlimmer als zuvor. Diesmal hatte sie Gelegenheit dazu gehabt, sie kennenzulernen, sie zu schätzen.
>Ich möchte ihren Körper, Aleytys. Und du hast versprochen, mir den Leib zu geben, für den ich mich entscheide. Löse jetzt dein Versprechen ein. Verlange ich damit denn so viel von dir …?< Und Harskari fuhr fort, Aleytys zu bedrängen. Aus irgendeinem der jungen Frau geradezu gespenstisch und absonderlich erscheinenden Grund wollte die zweite Seele in ihr nicht auf die Leiche Shareems verzichten. Die mentale Stimme Harskaris verstummte nicht, sprach weiter, bettelte und flehte und kreischte, bis Aleytys am liebsten laut aufgeschrien hätte, bis sie begriff, daß sie nie wieder zur Ruhe kommen konnte, wenn sie ihrer geistigen Begleiterin die Erfüllung dieses Wunsches versagte. Außerdem hatte sie nicht die Zeit, sich an eine entsprechende
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