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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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gewesen, schmerzlos sowohl für Kell als auch sie selbst. Aleytys schauderte plötzlich und wandte den Blick ab. Eine so leichte Lösung …
    Harskari kehrte mit einer Spule aus Isolierdraht, Zangen und einer Schere zurück. Aleytys stand auf, um ihr Platz zu machen, und ziellos wanderte sie eine Zeitlang umher, strich mit den Füßen durchs Gras und versuchte, nicht an das zu denken, was ihr jetzt bevorstand. Harskari schlang den Draht um die Fußknöchel Kells, um die Knie und auch die Handgelenke, und anschließend rollte sie ihn auf den Bauch und band ihm die Ellenbogen zusammen. Er trug eine leichte Schiffskombination aus geknüpfter Seide, die in einem dunklen Blaugrün glänzte, was die Haut der Hände und des Gesichts betont blaß wirken ließ. Im hellen Licht der Morgensonne sah das Haar aus wie ein erstarrtes Flammenbündel. Harskari zog den Draht stramm und rollte den Bewußtlosen wieder auf den Rücken. »Paket zum Versand ins Jenseits bereit, Lee.«
    Aleytys trat auf sie zu und spürte, wie Kell erwachte. »Er kommt gleich zu sich«, sagte sie, und in ihren Worten kamen Nervosität und Abscheu zum Ausdruck. Sie öffnete und schloß die Hände und beobachtete mit ihren mentalen Augen, wie das Bewußtsein Kells aus jenem dunklen Meer am Grund seines Ichs zurückkehrte, in dem sie ihn fast ertränkt hätte. Wenn er die Augen aufschlug, wenn sie seine Pupillen und den darin schimmernden Haß sah, so hoffte sie, nicht länger von seiner Hilflosigkeit gehemmt zu werden, ihn nicht mehr als einen armen Jungen zu sehen, der eigentlich ihr Mitleid verdiente, sondern als das Ungeheuer, das bestrebt gewesen war, sie zu töten, das ihre Mutter umgebracht hatte. Aleytys preßte die Lippen zusammen, so daß sie nur noch einen dünnen Strich bildeten, und in aller Deutlichkeit erinnerte sie sich an den Schmerz, an die Verzweiflung angesichts des Todes Shareems. Sie ist tot, daran kann ich nun nichts mehr ändern, dachte sie. Sie starb, um mir das Leben zu retten. Ja, man könnte die Sache auf diese Weise betrachten -und hoffen, daß es der Wahrheit entspricht. Daß sie nicht die Flucht vor dem Leben ergriff, sich in ihre Art von Sonne stürzte. Was für eine Verschwendung. So unsinnig, so verdammt unsinnig. Ja. Sie versuchte, mir zu helfen, doch sie starb. Starb in dem Bemühen, mich zu retten.
    Ich stehe neben der rechten Schulter Kells. Und lächle. Harskari steht an seiner linken Seite. Zwei Racheengel. Furien sind wir, und Vergeltung steht in unseren Zügen geschrieben. O ja.
    Wie harmlos du doch aussiehst, Kell, Feind, flach auf dem Gras ausgestreckt, gefesselt mit dem lächerlichen purpurnen Draht.
    Purpur für einen König. König Kobra. Überwältigt von zwei flinken Mungos. Purpur - was für eine gräßliche Farbe. Was Harskari wohl davon hält? König Kobra, gehüllt in billigen Plunder gekleidet in eine jener giftigen Farben, wie man sie für Kitsch verwendet. Harskari, ich fühle mich so einsam ohne dich in meinem Innern.
    Kell öffnete die Augen.
    Und von einer Sekunde zur anderen herrschte eisige Ruhe in Aleytys.
    Sie sah ihren Feind vor sich, gestaltgewordene Unversöhnlichkeit.
    Sie begriff die Endgültigkeit dieser letzten Konfrontation. Und es spendete ihr einen gewissen Trost zu wissen, daß ihr gar keine Wahl blieb. Dankbarkeit mochte eine Tugend sein, doch Kell wußte nicht einmal, was dieses Wort bedeutete. Jäger und Gejagte, miteinander verbunden durch einen Strang des Hasses und der Abscheu, der erst mit dem Ende der Jagd zerreißen konnte.
    Kell wandte den Blick nicht von ihr ab, als er sich vorsichtig hin und her wand und innerhalb kurzer Zeit feststellte, daß er nicht die Möglichkeit hatte, sich selbst zu befreien. Anschließend sah er Harskari an und kontrollierte sich nicht gut genug, um den Hauch von Furcht ganz aus einen Zügen zu verbannen, den Anflug von Angst, der in ihm entstand, als er dem ruhigen Blick der grünen Augen begegnete. Der Körper Shareems wies bereits einige Veränderungen auf. Eine neue Persönlichkeit wohnte darin, und das wurde allmählich deutlich. Kell drehte den Kopf.
    Als er sich wieder Aleytys zuwandte, spürte sie, wie sich etwas Finsteres verdichtete, und mit ihren geistigen Armen griff sie in ihn hinein, preßte erneut einige bestimmte Nerven zusammen und schleuderte ihn in das Meer der Dunkelheit, in dem es keine Empfindungen gab. Kell konnte nichts dagegen unternehmen, solange sie rechtzeitig genug reagierte. Solange sie sich nicht von ihm ablenken

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