Das Erbe der Vryhh
ließ.
Harskari stemmte die Arme in die Hüften. »Glaubst du immer noch, er würde dir Auskunft geben?«
Aleytys bewegte die eine Hand und ließ sie wieder sinken, den Blick nach wie vor auf Kell gerichtet. Sie wartete darauf, daß er erwachte.
Nach einiger Zeit zitterten die Lider, und der Vryhh im Gras schlug die Augen auf.
»Ich kann dich jederzeit in die Schwärze zurückkehren lassen und damit jedem Angriff deinerseits zuvorkommen«, sagte Aleytys und hob die Hand, so als sei sie allein damit dazu in der Lage, das abzuwehren, was er ihr entgegenwerfen mochte. »Versuch besser keine Tricks, Vetter - ich weiß ganz genau, was in jedem Winkel deines verdrehten Hirns vor sich geht.«
»Was willst du?«
»Grey.«
»Hab’ ihn nicht.«
»Er befindet sich in deiner Falle. Sag mir, wie ich ihn daraus befreien kann.«
»Du spinnst ja. Was für eine Falle?«
»Du lügst. Glaubst du denn immer noch, du könntest mir etwas vormachen?«
»Was weißt du schon?«
»Eine Menge. Ich bin Psionikerin, Kell, Empathin. Und ich habe auch noch andere Fähigkeiten. Wie kann man Grey aus der Falle herausholen?«
»Verfaule mit ihm zusammen.«
»Ist das deine Antwort?«
»Die einzige, die du von mir bekommst.«
»Ich verstehe.« Aleytys seufzte und trat zurück. »Harskari, ich bitte dich um einen zweiten Gefallen. Hol mir ein Messer aus der Küche. Eins, das besonders scharf ist.«
»Überlaß mir das, Lee.« Finster starrte Harskari auf Kell hinab.
»Nein. Hol das Messer.«
»Warum denn ausgerechnet ein Messer? Es wäre doch einfacher …«
»Ich möchte es aber nicht einfacher.«
Harskari schürzte die Lippen und erweckte zunächst den
Anschein, als wolle sie noch weitere Argumente gegen das Vorhaben Aleytys’ anführen. Doch dann schließlich nickte sie. »Paß gut auf ihn auf.« Sie drehte sich um und schritt in Richtung Haus.
»Versuch das lieber nicht, Kell.«
Er entspannte sich. »Laß uns eine Übereinkunft treffen.«
»Zu welchen Bedingungen?«
»Du bekommst die gewünschte Antwort. Und läßt mich am
Leben. Friede zwischen uns.«
»Ich wünschte, ich könnte glauben, daß du es ehrlich meinst . .
.« Aleytys ging in die Hocke und musterte den Vryhh, furchte die Stirn. Nach einigen Sekunden seufzte sie. »Ich wünschte …
Eigentlich hatte ich nie etwas gegen dich, Kell. Ich habe dir nicht nachgestellt … Ich fürchte, es wird niemals Frieden zwischen uns geben, solange du lebst. So ist die Lage nun einmal.«
»Ich bin bereit, im Mesochthon einen entsprechenden Schwur abzulegen und meinen Dom zu verpfänden.«
»Warum überzeugt mich das nicht?« Aleytys wandte den Kopf und spuckte ins Gras. »Das ist dein Wort wert.«
Kells Lippen zuckten und bildeten dann eine gerade und weiße Linie. Aleytys sah zu, wie er sich zu beherrschen bemühte. Und trotz ihres Zweifels begann ein Hauch von Hoffnung in ihr zu entstehen - Hoffnung darauf, daß er versuchte, mit dem Wahn fertig zu werden, der bisher in ihm gewütet hatte. Harskari kehrte aus dem Haus zurück und näherte sich mit langsamen und fast zögernd wirkenden Schritten. Die bläuliche Stahlklinge des Messers blitzte im hellen Sonnenschein, funkelte in einem düsteren und tödlichen Glanz, von dem Aleytys wußte, daß sie ihn sich zum größten Teil nur einbildete. Sie preßte sich die Hand auf die Magengrube, als sich dort ein Knoten bildete, beobachtete das bläulich-schwarze Glitzern, ließ sich von dem Messer ablenken und vergaß Kell für einige Sekunden.
Eine Woge aus Feuer und Finsternis gischtete heran, sie stürzte in die Tiefe, immer weiter hinab, und sie schrumpfte, als sie fiel.
Flaumfetzen, in winzigen und von einem böigen Wind dahingewirbelten Flocken, ein gewaltiger Druck, der auf ihr lastete, sie immer mehr zusammenpreßte, der sie zusammenpreßte, bis sie nur noch ein Punkt war, eine Singularität, bis sich auch die verflüchtigte und das Nichts sie aufnahm - bis sie zum Nichts wurde.
Doch unmittelbar zuvor ließ der Druck nach, vor der wesensmäßigen Reduzierung auf einen Punkt, der keine räumliche Ausdehnung mehr hatte. Nur einen Sekundenbruchteil später setzte er wieder ein, doch diese Zeit genügte, um Aleytys die Möglichkeit zu geben, wieder Halt zu finden, unter einer Schutzdecke Zuflucht zu suchen, um die mentalen Hände nach dem schwarzen Strom auszustrecken - Zeit genug, um zu begreifen, daß Harskari in den Kampf eingegriffen hatte. Und wie zuvor versetzte sie ihm einzelne Hiebe, schufen sie Lücken in der
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