Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
charakteristischen Geste auf sie reagierte. Sie nahm das alles in sich auf, und ihr Inneres füllte sich mit Freude und Leid.
    Linfyar schlief und hörte nichts.
    Shadith sang weiter. Zusammen mit ihren Schwestern bewegte sie sich im Traumtanz, war sich dabei ihrer Andersartigkeit bewußt, ihres Alters, das sie von den anderen trennte - obgleich sie wesentlich jünger wirkte -, war wie ein Fokus für die Struktur des Tanzes, die beschreibenden Worte, für das, was Gestik und Gesang zum Ausdruck brachten - um die Botschaft an ihre eigenen Kinder weiterzugeben, an die sechs und dann das eine, an sechs sterile Töchter und ein fruchtbares Kind, das sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts sein konnte.
    Als sich der neue Tag als eine blaßrote Linie am Horizont ankündigte, als Shadiths Stimme nur noch ein heiseres Krächzen war und sie ihre Arme wie zwei bleierne Gewichte spürte, verstummte sie und beobachtete, wie sich die Abbilder ihrer Schwestern verflüchtigten und wieder zu diffusen Nebelschwaden wurden. Während ihre Konzentration nachließ, fühlte sie die Präsenz hinter sich, Aufmerksamkeit und Verständnis. Lachen und Zuneigung fluteten ihr entgegen. Dann zog sich die Präsenz zurück. Shadith fragte sich erneut, ob das alles nur ihrer stimulierten Phantasie zuzuschreiben war, und schüttelte den Kopf. Etwas war fremd.
    Ihrem Erlebnis haftete eine seltsame Qualität an, ein sonderbarer Aspekt, von dem sie fast glaubte, ihn schmecken zu können. Ja, das war es: ein eigentümlicher Geschmack im Mund. Sie sah zu, wie sich Meer und Himmel röteten und dann eine eisengraue Tönung gewannen.
    Als die Sonne ganz aufgegangen war, weckte sie den immer noch schläfrigen und brummenden Linfyar, reichte ihm ein Rationspaket, rollte die Decken zusammen und stopfte sie in die Schultertaschen, so daß Linfy sie tragen konnte. Anschließend baute sie den Prickelzaun ab und verstaute ihn in ihrem Rucksack. Mit den Fingerkuppen strich sie über die Harfenschatulle, ertastete das Leder, zog die Schlaufen auf und berührte die gelok-kerten Saiten.
    Shadith seufzte, als sie nur ein dumpfes Knarren vernahm. »Nun.
    das kann warten.«
    »Wie?«
    »Vergrab das leere Paket, wenn du mit dem Frühstück fertig bist.«
    »Ja.«
    »Das ist wichtig, Balg.«
    »Ich habe durchaus verstanden.«
    »Hm.« Shadith band die Schatulle auf dem Rucksack fest, schlang sich die Halteriemen des Gestells über die Schultern und stand auf, »Es darf niemand erfahren, wo und wann wir an Land gingen.«
    Linfyar pfiff eine kurze und freche Melodie, machte dann ein leises und fröhlich klingendes Summen daraus, grub mit dem einen Fuß eine Furche in den Sand und legte mit übertrieben zur Schau gestellter Sorgfalt die Reste der Mahlzeit hinein. Er tanzte fast, als er, ebenfalls mit den Füßen, die Furche wieder füllte und das Paket somit verschwinden ließ. Er lauschte dem leisen Knistern der Körner, um auf diese Weise festzustellen, wann nichts mehr von dem Rationsbehälter zu sehen war, hockte sich nieder und strich den Sand mit an Zärtlichkeit grenzender Behutsamkeit glatt, wiederholte die vorsichtige Bewegungen der Hände, tastete mit den Fingerspitzen über die weiche Masse.
    Shadith beobachtete ihn eine Zeitlang und schüttelte den Kopf.
    »Hör auf, dich wie ein Narr zu benehmen, Balg. Du hast mir die Sache klar genug gemacht. Hier, Nimm das.« Sie schob ihm die Rolle mit den Decken unter den Arm.
    »Ich bin fertig. Laß uns gehen,«
    Shadith kletterte über den Rand des Erdwalls, richtete sich auf und beobachtete voller Unbehagen die gewaltigen Bäume. Sie stellte sich vor. wie fleischfressende Pflanzen ihnen die Ranken entgegenstreckten, um das Blut aus ihren Körpern zu saugen, und sie schauderte, Vorsichtig folgte sie Linfyar, und sie verspürte eine gewisse Erleichterung, als er sich durch die aus Büschen und Sträuchern bestehende Peripherie schob, ohne von Luftwurzeln angegriffen zu werden. Sie blieb auch weiterhin wachsam. Man konnte nie wissen, was sich Bäume einfallen ließen, ganz gleich, wie vertrauenerweckend und fest verwurzelt sie auch wirken mochten.
    Plötzlich war die Präsenz da und lachte.
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte Shadith laut, und Empörung vibrierte in ihrer Stimme. »Du kennst dich hier aus.«
    »Was?« Linfyar drehte den Kopf, und das eine Ohr neigte sich in ihre Richtung.
    »Schon gut.« Shadith schloß zu ihm auf, starrte auf die Bäume in ihrer Nähe und hielt sich dicht an der

Weitere Kostenlose Bücher