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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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verbringen die Nacht hier.«
    »Meinetwegen. Ich habe Hunger.«
    »Nun, hilf mir dabei, die Kapsel zu entladen und zu verstecken Anschließend essen wir.«
    Shadith breitete ihre Decke in unmittelbarer Nähe des Zaunes aus, hockte sich darauf nieder und blickte übers Meer. Sie fühlte sich auf außergewöhnlich intensive Weise lebendig. Und frei.
    Wieder auf sich selbst gestellt, im eigenen Körper. Ein Abenteuer stand ihr bevor, und dabei kam es auf ihre Wachsamkeit an, ihren Verstand, ihre Fähigkeiten. Da wir gerade bei Fähigkeiten sind: Ich frage mich, ob das Bewußtseinsreiten auch bei Gliederfüßlern funktioniert. Es sind die größeren, die solchen Lärm machen. Sie schickte ihre gedanklichen Sonden in den Wald und forschte nach einem besonders hochentwickelten Geist, um in ihn hineinzu-schlüpfen und festzustellen, was sie in Erfahrung bringen konnte. Aha, da hätten wir ja einen. Sie nahm Verbindung damit auf, hielt überrascht den Atem an und wich rasch wieder zurück, bevor sie von etwas Fremdem kontrolliert werden konnte, das sich in jenem Geist befand - einem Geist, der fast ein eigenes Bewußtsein entwickelt hatte, der so nahe an die Grenze zur Intelligenz herangekommen war, daß Shadith selbst dann nicht hoffen konnte, ihn zu beherrschen, wenn nicht der sonderbare Aspekt darin gewesen wäre. Sie schauderte zwar, war aber auch fasziniert. Bei dem Kontakt hatte sie keine Feindseligkeit gespürt, nur Neugier und fröhliches Interesse. Shadith begann mit einer neuerlichen Sondierung, ging diesmal vorsichtiger und behutsamer zu Werke. >Wer?<
    >Wer bist du?<
    Shadith antwortete mit dem mentalen Äquivalent eines leisen Lachens. >Sängerin und Dichterin, ein Freund.< Und ein zweites Kichern.
    >Absicht?<
    >Das Bestreben, mehr zu erfahren. Eine Jagd. Und noch viel, viel mehr.<
    >Geduld. Zurückhaltung.<
    >Warum?<
    >Warum nicht?< Die andere Präsenz zog sich zurück.
    »Das ist ja’n Ding.« Shadith zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. »Ist das wirklich geschehen, oder bin ich trotz des komischen Lebersaftes high?« Sie schmunzelte und grub die nackten Zehen in den Sand. »Ich und Stimmen in meinem Kopf.
    Wirklich seltsam, mhm.«
    Während eines völlig entspannten Halbschlafs verstrichen die Stunden, und als die Morgendämmerung einsetzte, wallte Dunst vom Meer heran und umwallte Shadith, silbrige Schemen, die sich zu Gestalten formten, an die sie sich von ihrem ursprünglichen Leben erinnerte, an Personen, die breits vor Äonen gestorben waren - ihre sechs Schwestern, Weberinnen von Shayalin.
    Sie beobachtete die anmutig wirkenden und langsam dahingleitenden Schatten, schwarze und grauweiße Ebenbilder von Naya, Zayalla, Annethi, Itsaya, Talitt und Sullan. Sechs Schwestern, die Träume woben und an interessierte Kunden verkauften. Mit den Augen eines fremden Körpers betrachtete sie sie und konnte es kaum fassen. Weberinnen von Shayalin, tanzende Träume.
    Sie sah zu, wie die Gestalten Fäden spannen, die flüchtige Muster bildeten, Erinnerungssymbole, Visionen, die im Damals ein Teil von ihr gewesen waren, in jener Zeit, die bereits seit einer Ewigkeit zum Vergangenen gehörte.
    Der Tanz war still; es mangelte ihm an der sanften Melodie heller Stimmen, und das empfand Shadith als schmerzlich. Als sie das Schweigen nicht länger ertragen konnte, begann sie jenes alte Lied zu singen, dessen Takt dem Rhythmus des Tanzes entsprach.
    Zuerst fiel ihr das nicht leicht, denn die menschlichen Stimmbänder vermochten nicht die Obertöne zu produzieren, die der Shayalin-Kehlkopf hervorbingen konnte. Ihre Finger schienen eine eigene Willenskraft zu entwickeln, als sie nach einigen Kieseln auf dem Strand tasteten. Shadith schloß die Hand darum und ließ sie leise aneinanderklacken. Tief in ihrem Innern war sie sich darüber klar, daß sie es nur mit einer Illusion zu tun hatte, einem Trugbild, das ihr Bewußtsein aufgrund der Pollenwirkung proji-zierte, aber sie war bereit, den Traum zumindest vorübergehend als Wirklichkeit zu akzeptieren, gab sich diesem Verlangen willig hin und genoß das gestaltgewordene Erinnerungsbild. Als sie die Laute des Liedes besser zu formulieren lernte und dabei mit den drei Kieseln den Takt angab, verschärften sich die Projektionskonturen ihrer Schwestern. Nach einer Weile glaubte Shadith zu erkennen, wie Itsaya ihr zuzwinkerte, wie Naya lächelte, Zaya mit den Hüften wackelte und über die Schulter hinweg grinste, beobachtete sie, wie jede ihrer Schwestern mit einer

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