Das Erbe der Vryhh
empfunden hatte. Es war ihr nun mehr egal, ob diese Leute sie akzeptierten oder nicht. Sie wollte nur ihr Geburtsrecht bestätigen lassen und die Sache mit Kell erledigen. Anschließend würde sie wieder ihren eigenen Weg gehen - sollte Aschla die hier versammelten Männer und Frauen holen. Nun, mit der Ausnahme Shareems. Aleytys blickte auf den Rücken ihrer Mutter und lächelte.
Nahe der Wand wartete Filiannis auf sie. Sie saß in einem der Sessel, die jede beliebige Form annehmen konnten, begleitet von zwei identischen Personen, die Aleytys stumm und mit ausdruckslosen Mienen beobachteten, die den Kopf senkten, als sie näher herankam. Begreifen sie denn nicht, daß sie geradezu nach Haß und Eifersucht stinken? Aleytys fragte sich plötzlich, ob es zwischen den in diesem Saal anwesenden gut fünfzig Vrya jemals mehr gegeben hatte als nur flüchtige und beiläufige sexuelle Beziehungen, die dem Zeitvertrieb dienten. Die Kämpfer und Krieger, denen sie während ihrer Reisen begegnet war - der gefährliche kleine Joran - wieso denke ich ausgerechnet jetzt an ihn? -, auf Nirgendwo und auch anderen Welten … sie alle brachten einander Gefühle entgegen, die im wesentlichen nur aus der Gier hungriger Silberpelze bestanden. Und doch verstanden sie es weitaus besser als die Vrya, nichtverbale Hinweise auf Überlegungen und Gedanken zu interpretieren. Aleytys musterte die Zwillinge aufmerksam, und Shareem berührte sie am Arm. »Sprich nicht von ihnen«, flüsterte ihre Mutter. »Richte kein Wort an sie. Ignoriere sie einfach.
Es sind Klone. Keine sehr erfolgreichen, denn ihre Lebenserwartung ist sehr beschränkt, und außerdem sind sie dumm. Filiannis tauscht sie einfach aus, wenn sie den Zeitpunkt für gekommen hält.« Ich habe schon Schlimmeres gesehen, dachte Aleytys. Shareem lächelte. »Wir unterhalten uns später darüber.«
Filiannis die Dichterin - so hatte Shareem sie jedenfalls genannt.
Doch schon seit Jahrhunderten war kein neues Werk entstanden.
Vielleicht jedoch bin ich nicht auf dem neuesten Stand der Dinge, erinnerte sich Aleytys an die Auskunft Shareems. Schließlich begegnen wir uns nur etwa alle hundert Jahre einmal. Außerdem war ich noch nie sonderlich an Gedichten interessiert. Filiannis beugte sich ruckartig vor, als Shareem und Aleytys verharrten. Sie wartete nicht darauf, daß Shareem das Wort ergriff, sondern stand auf und streckte die Hand aus. Aleytys ergriff sie, und als Filiannis sprach, folgten ihre Worte so schnell aufeinander, daß die junge Frau Mühe hatte, sie zu verstehen. »Willkommen auf Vrithian, Vryhh-Tochter, die du zu uns Vrya gehörst.« Ihre Hand war trokken und glatt. Die Haut fühlte sich an wie Samt. Filiannis ließ sich wieder in den Sessel sinken, und die beiden Zwillinge traten zurück, bis sie wieder neben ihren Schultern standen. Trotz ihrer erwachsenen Gestalt stellte Aleytys sie sich als Kinder vor. Sie wirkten irgendwie unvollständig, als handele es sich nicht um voll entwickelte Personen. Klone, die aus nicht ganz erfolgreichen Genexperimenten hervorgegangen waren und das auch wußten, denen keine andere Wahl blieb, als sich dem Willen Filiannis’ zu fügen und vor ihr, Aleytys, zu stehen, der Vryhh-Tochter, deren Unabhängigkeit für sie immer ein Traum bleiben mußte. Aleytys verdrängte den Zorn, der bei diesen Überlegungen erneut in ihr hochquoll. Es war unnötig grausam, solche Halb-Wesen zu schaffen, und noch grausamer, sie hierherzubringen.
Shareem bedachte sie mit einem kurzen Blick und trat rasch vor.
»Hallo, Filiannis. Fia und Lia sehen heute besonders nett aus. Die blauen Gewänder stehen ihnen gut.« Aleytys war überrascht und auch ein wenig verärgert, als sie Zeugin wurde, wie ihre Mutter von den Zwillingen sprach, obgleich sie ihr das untersagt hatte. Ich bin noch immer eine Außenseiterin - bis eine Angelegenheit vorbei ist, dachte sie.
Filiannis lächelte, doch von der Energie, mit der sie zuvor Aleytys begrüßt hatte, war kaum mehr etwas übrig. »Es geht ihnen gut.
Es geht uns allen gut. Diesmal warst du nicht allzu lange fort, Reem.«
»Ich hatte einen guten Grund für die Rückkehr.« Shareem legte Aleytys die Hand auf die Schulter.
Filiannis’ Augen trübten sich, und sie zwinkerte. »Oh, ja.« Sie wandte sich an Aleytys. »Ja. Karos und Agriotis waren vor ein oder zwei Jahren hier. Sie berichteten uns erstaunliche Dinge von deinen Abenteuern, Vryhh-Tochter.«
»Gerüchte, Übertreibungen. Du solltest nicht alles glauben,
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