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Das Erbe des Alchimisten

Das Erbe des Alchimisten

Titel: Das Erbe des Alchimisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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liebe ich sie mehr, als ich sagen kann.
    6.
Kapitel
    Kalika ist zwei Wochen alt und so groß wie andere Kinder nach einem Jahr, als sie sich weigert, weiterhin meine Milch zu trinken. Während der letzten vierzehn Tage habe ich es genossen, sie zu stillen, obwohl mir gar nicht gefällt, wie schnell sie wächst. Jeden Morgen, wenn ich erwache, hat sich meine Tochter verändert, sie wirkt mit jedem Tag älter. An diesem Morgen schiebt sie mich weg, als ich sie an meine Brust legen will. Sie ist ziemlich stark und zerkratzt meine Haut, als sie sich weigert, von mir zu trinken. Ray sitzt gegenüber und versucht mich in meiner Verzweiflung ein wenig zu trösten.
    »Vielleicht geht’s ihr nicht gut«, sagt er.
    Mit Kalika auf meinem Schoß starre ich aus dem Fenster. »Vielleicht möchte sie etwas anderes trinken«, entgegne ich.
»Sie ist kein Vampir.«
»Woher willst du das wissen?«
»Zum Beispiel, weil ihr die Sonne nichts ausmacht.«
Es stimmt, ich habe meine Tochter absichtlich der hellen Sonne ausgesetzt, um sie zu testen. Doch sie hat sie nur angestarrt wie alles andere auch. Das Licht scheint ihr nichts auszumachen, aber irgendwie beruhigt mich dieser Gedanke trotzdem nicht.
»Niemand weiß, wer oder was sie ist«, sage ich.
»Was willst du also tun? Wir müssen ihr etwas zu trinken geben.«
Vielleicht hat Kalika diese Frage verstanden. Denn sie hat bereits begonnen zu sprechen, einfache Worte, wie sie sonst etwa einjährige Kinder sagen können. Aber vermutlich versteht sie schon mehr, als sie sagt, und vermutlich weiß sie mehr über sich selbst, als wir, ihre Eltern, uns eingestehen wollen. Während ich durchs Fenster nach draußen in den Himmel blicke, beugt sie sich vor und beißt in meine linke Brustwarze. Sie hat bereits Zähne, und damit beißt sie so fest, daß Blut hervorschießt. Ich spüre den scharfen Schmerz – und merke gleichzeitig, wie sie trinkt. Das Blut scheint sie zufriedenzustellen.
Ich sehe Ray an und möchte am liebsten weinen.
Ein weiterer Tag ist vergangen. Kalika liegt in ihrem Zimmer und schreit. Sie ist hungrig, aber meine Brüste sind zu wund, um sie erneut anzulegen. Ray läuft vor mir auf und ab, während ich auf der Wohnzimmercouch liege und aus dem Fenster starre. Ich denke oft an den Himmel und an Krishna. Ich frage mich, wo Gott zu Zeiten wie diesen ist – und ob er wohl gerade in der Horrorabteilung der Himmelsbibliothek nach einer neuen Möglichkeit sucht, mein Leben noch schlimmer zu gestalten.
Ich bin total erschöpft und muß sehen, daß ich wieder zu Kräften komme. Ich fühle mich wie eine zerschmetterte Puppe, die ein gefühlloser Doktor lieblos wieder zusammengenäht hat. Ich fühle mich wie eine Mutter, die entdeckt, daß ihre Tochter Barbiepuppen köpft, um sie anschließend zu essen.
»Was sollen wir tun?« fragt er.
»Das hast du mich bereits vor fünf Minuten gefragt.«
»Aber wir müssen etwas tun. Unser Kind ist hungrig.«
»Ich habe ihr ein rohes Steak angeboten, und sie wollte es nicht. Ich habe ihr das Blut aus dem Steak angeboten, und sie hat es verschmäht. Sie nimmt nur mein Blut, aber wenn ich ihr noch mehr davon gebe, werde ich sterben.« Ich huste schwach. »Aber unter diesen Umständen wäre das vielleicht nicht mal schlimm.«
Ray bleibt stehen und starrt mich an. »Vielleicht akzeptiert sie nicht nur dein Blut.«
Meine Stimme klingt leise. »Daran habe ich auch schon gedacht. Wie hätte ich nicht daran denken sollen?« Ich zögere. »Würdest du ihr etwas von deinem Blut geben?«
Ray kniet sich vor mich hin. Er ergreift meine Hand und drückt sie liebevoll. Doch gleichzeitig bin ich erstaunt über seinen Blick – einen Blick, den ich an ihm noch nie gesehen habe. Natürlich würde ein Kind wie Kalika jeden auf dieser Welt grundlegend verändern. Ray spricht leise in verschwörerischem Tonfall, und in seiner Stimme liegt keine Zuneigung.
»Laß uns davon ausgehen, daß sie kein Mensch ist«, gibt er zu. »Soviel ist mittlerweile wohl klar. Laß uns sogar annehmen, daß sie eine Art Vampir ist, allerdings nicht im üblichen Sinne. Denk nur daran, wie gut sie beispielsweise Sonne verträgt. Das alles muß nicht notwendigerweise schlecht sein, wenn wir ihr beibringen können, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden. Sie muß kein Monster werden.«
»Was willst du mir damit sagen?«
»Ist das nicht klar. Sie ist trotz allem unsere Tochter, wir lieben sie, und wir müssen ihr geben, was sie braucht, um zu überleben – zumindest bis sie selbst für

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