Das Erbe des Atoms
länger er darüber nachdachte, desto klarer wurden ihm die Hintergründe und das Ausmaß der verräterischen Umtriebe, die Prinz Cregs bedrängten Legionen seit drei Jahren zu schaffen machten.
So nahe, dachte der Oberherr düster. Im engsten Familienkreis. Einige der verräterischen Intrigen mußten im Garten unter dem Felshügel besprochen worden sein, wo ein Kind der Götter im Gras gelegen hatte, das Ohr an einem Metallrohr, konspirative Gespräche belauschend und mit unsichtbarer Tinte in ein scheinbar leeres Notizbuch schreibend.
Dem Herrscher war nicht unbekannt, daß seine Frau endlos hinter seinem Rücken intrigierte. Er hatte sie geheiratet, damit die Opposition eine geschickte Sprecherin in der Regierung hätte. Durch sie erfuhr er, was die Opposition wollte, und gab ihr soviel, daß sie zufriedengestellt wurde. Indem er scheinbar ihre Ratschläge befolgte, brachte er Hunderte von fähigen Verwaltungsbeamten, Soldaten und Patronatsmitgliedern von der anderen Seite in den Regierungsdienst. In den vergangenen zehn Jahren hatten mehr und mehr Oppositionsabgeordnete im Patronat seine Gesetze unterstützt. Und wenn seine Agenten in den letzten Jahren von Konspirationen berichtet hatten, dann war bei den folgenden intensiveren Nachforschungen gewöhnlich festgestellt worden, daß keine mächtigen Männer oder Familien daran beteiligt waren.
Noch nie hatte er Lydia wegen ihrer Intrigen und ihrer Obstruktionspolitik zur Rede gestellt. Sie konnte nichts dafür, daß sie der Opposition angehörte, genausowenig wie er es vor Jahren hatte verhindern können, in den Strudel der politischen Ambitionen seiner eigenen Gruppe gezogen zu werden. Man hätte sie umgebracht, wenn die Hitzköpfe der Opposition jemals den Eindruck gewonnen hätten, daß Lydia sie durch Abschwenken ins Lager ihres Mannes oder auch nur durch zuviel Neutralität »betrog«.
Nein, er warf ihr vergangene Taten nicht vor. Aber dies war etwas anderes. Die Armee war durch Verrat dezimiert worden, nur damit Prinz Cregs Qualitäten als Heerführer im Vergleich zu denen des Prinzen Tews minderwertig erschienen. Dies war eine persönliche Sache, und der Oberherr erkannte sofort ihre wahre Bedeutung. Die wichtigste Aufgabe war es jetzt, Creg zu retten, der im Begriff stand, den Belagerungsring zu sprengen und offensiv zu werden. Zugleich aber durften Lydia und die anderen nicht alarmiert werden. Zweifellos hatten sie irgendeine Methode, seine private Post für Creg abzufangen. Konnte er es riskieren, diesem Treiben ein Ende zu machen? Es wäre nicht weise, dachte er. Dafür war es noch zu früh.
Alles mußte normal und ungestört erscheinen, oder die Verschwörer würden in ihrer plötzlichen Panik irgendeinen gedungenen Mörder mit der improvisierten Beseitigung des Oberherrn beauftragen. Wie die Dinge lagen, würde die Gruppe keine radikalen Aktionen riskieren, solange Prinz Cregs Armee intakt und ungeschlagen blieb.
Ja, er mußte die Tasche des Kuriers mit Clanes Brief darin in die Hände der Verschwörer fallen lassen. Wenn sie den Brief öffneten, würde wahrscheinlich ein Versuch folgen, Clane zu ermorden.
Mit dieser Überlegung im Hintergrund seines Denkens sagte der Oberherr zu Nellian: »Ich denke, Clane sollte eine Reise um die Erde machen. Seinen eigenen Vorlieben und Eingebungen folgend, ohne eine besondere Route. Und inkognito. Sorgen Sie dafür, daß er bald abreist. Schon morgen.«
Am Abend tat er Clanes Brief mit der übrigen Post in die Tasche des Kuriers. Eine Stunde später lag die Posttasche in Lydias Gemächern. Zwei Vertraute sortierten die Briefe vor und legten sie auf zwei Haufen. Der größere der beiden wurde sofort wieder in die Posttasche getan. Die übrigen Briefe wurden von Prinz Tews untersucht, der wieder einige herausnahm, um sie seiner Mutter zu zeigen.
Lydia sah sie einzeln durch und gab diejenigen, die sie geöffnet haben wollte, dem einen oder dem anderen von zwei Sklaven, die Erfahrung im Umgang mit Chemikalien hatten. Diese Experten konnten Siegel unbeschädigt ablösen und später wieder aufkleben.
Der fünfte Brief, den Lydia aufnahm, war derjenige von Clane. Sie sah die Handschrift auf dem Umschlag und den Namen des Absenders auf der Rückseite, und ein feines Lächeln spielte um ihre Lippen. »Sagen Sie«, sagte sie zu ihren Vertrauten, »täusche ich mich, oder ist es wahr, daß die Armee Zwerge, Mutanten und andere menschliche Mißbildungen als schlechte Omen betrachtet?«
»Das ist richtig«, sagte
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