Das Erbe des Atoms
seinem Tode die Heimat erreichte, handelten beide Seiten schnell. Lydia hatte die zwei Chemiker-Sklaven und den Postkurier beseitigen lassen, nachdem sie von Cregs Sieg erfahren hatte. Nun sandte sie ihre Meuchelmörder aus, die zwei Hofbeamten zu ermorden, die in ihre Briefzensur eingeweiht waren. Und gleichzeitig befahl sie Tews, die Stadt zu verlassen und die nächste Zeit auf einem seiner Landsitze zu verbringen.
Als die loyalen Palastwachen des alten Oberherrn eintrafen, ihn festzunehmen, war Tews schon fort. Seine Flucht dämpfte den hitzigen Zorn des Oberherrn, und er beschloß, seinen Besuch bei Lydia zu verschieben. Als dieser erste Tag sich dahinschleppte, wuchs langsam eine finstere Bewunderung für seine Frau in ihm, und Medron Linn erkannte, daß er seine Beziehungen zu ihr nicht abbrechen, noch sie als Drahtzieherin hinrichten lassen konnte; nicht jetzt, nachdem der große Creg tot war. Um sich die Entscheidung zu erleichtern, die er als einen schmählichen Rückzieher vor der Schläue seiner Frau betrachtete, versuchte er sich einzureden, daß sie Cregs Ermordung nicht selbst befohlen habe. Irgendein in Panik geratener Gefolgsmann an Ort und Stelle, der möglicherweise um seine Sicherheit fürchtete, hatte auf eigene Faust gehandelt. Es könnte für das Imperium fatale Folgen haben, wenn er jetzt mit seiner Frau bräche. Als sie mit ihrem Gefolge kam, um ihm offiziell das Beileid auszusprechen, hatte er sich entschlossen. Mit Tränen in den Augen nahm er ihre Hand zwischen die seinen.
»Lydia«, sagte er, »dies ist ein schrecklicher Tag für mich. Was schlägst du vor?«
Sie empfahl eine Kombination von Triumphzug und Staatsbegräbnis. »Unglücklicherweise ist Tews krank«, sagte sie dann, »und wird daher nicht in der Lage sein, an der Trauerfeier teilzunehmen. Es scheint eine Krankheit zu sein, die ihn für längere Zeit von der Hauptstadt fernhalten könnte.«
Der Oberherr verstand.
Er verbeugte sich und küßte ihre Hand. Beim Staatsbegräbnis gingen sie gemeinsam hinter dem Sarg her. Und weil er von Zukunftszweifeln geplagt wurde, dachte der Oberherr immer wieder: Was nun? Quälende Unschlüssigkeit bedrückte den alternden Mann.
In dieser Stimmung fiel sein Blick auf einen jungen Burschen in den Trauerkleidern eines Gelehrten. Der Jüngling ging neben Nellian, und dieser Zusammenhang brachte die Erkenntnis, daß es sein Enkel Clane war.
Der Oberherr wurde nachdenklich. Nicht daß er viel Hoffnung auf einen Mutanten setzen konnte, doch er entsann sich, daß Joquin einmal gesagt hatte, man müsse dem Jungen eine Chance geben, heranzuwachsen. Danach werde es an dem Jungen sein, etwas aus seinem Potential zu machen. Und der längst verstorbene Tempelgelehrte hatte vorausgesagt, daß Clane in der Ruhmeshalle der Herren von Linn seine eigene Nische erhalten werde.
Medron Linn, ein des Sohnes beraubter, verzweifelter Mann, lächelte grimmig. Die Ausbildung des Jungen mußte fortgeführt werden, und zur Abwechslung könnte auch eine kleine Förderung seiner emotionalen Entwicklung angebracht sein.
Obwohl er die Pubertät kaum erreicht haben mochte, war es für Clane wahrscheinlich an der Zeit, zu entdecken, daß Frauen lebende Bündel von Emotionen waren, ebenso gefährlich wie anziehend. Erfahrungen mit Frauen mochten geeignet sein, eine Ausgeglichenheit von Geist und Körper zu erreichen, die eine übermäßig intellektualisierte Existenz verhindert hatte.
10.
»Die Familie Deglet, später in Linn umbenannt«, sagte Nellian zu seinem Schüler Clane Linn, »begann vor etwa hundertfünfzig Jahren ein sehr bescheidenes Bankgeschäft zu betreiben.«
Es war ein warmer Sommertag, wenige Wochen nach Creg Linns Beerdigung. Die zwei saßen unter einem großen Baum vor dem Herrenhaus des Gutshofes, den Clane von Joquin geerbt hatte. Der vierzehnjährige Junge blickte mit leicht gelangweilter Miene die Straße entlang, die an seinem Besitz vorbei zur hundertzwanzig Kilometer entfernten Stadt Linn führte. Feld und Wald schienen sich im Hitzeflimmern aufzulösen, und außer dem schnarrenden Zirpen der Baumzikaden war es völlig still. Clane liebte diese Stimmung, aber dann merkte er, daß Nellian auf einen Kommentar wartete, und sagte, ob es nicht wahr sei, daß der Gründer der Dynastie an einer Straßenecke gesessen und den Leuten gegen die Überlassung von Pfändern – wie Juwelen und Ringen – Geld geliehen hatte.
»Ich glaube«, sagte der alte Mann, »daß dein Vorfahr ein schlauer
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