Das Erbe des Atoms
Lydia mit starrem Blick dasaß, noch betäubt von der für sie unheilvollen Nachricht, sagte er mit fester Stimme:
»Meinen Sohn, Prinz Creg Linn, ernenne ich hiermit zu meinem Mitregenten über das gesamte Imperium. Gleichzeitig verleihe ich ihm den Titel eines Oberherrn. Dieser Titel drückt die volle juristische und verwaltungsmäßige Gleichberechtigung aus.«
Der Oberherr legte eine weitere Pause ein und lächelte ein seltsames, düsteres Lächeln, bevor er fortfuhr: »Ich weiß, daß Sie sich mit mir über diese glückliche Nachricht freuen und daß Sie rasch die legalen Formalitäten der Ernennung abwickeln werden – ich schlage vor, daß dies noch heute und zu dieser Stunde geschieht –, so daß wir meinem Sohn die vom Imperium auf ihn übertragene Ehre am Vorabend seines Entscheidungskampfes mitteilen können.«
Er verbeugte sich und verließ die Plattform. Es dauerte eine kleine Weile, bis die Zuhörer begriffen, daß er geendet hatte, denn es blieb völlig still. Dann, als das Beifallklatschen endlich begann, war es dafür um so heftiger, und es dauerte noch an, als der Oberherr den großen Marmorsaal bereits verlassen hatte.
9.
Prinz Creg las den Brief seines Sohnes mit Verblüffung. Er erkannte, daß das Gebet des Jungen nur Tarnung für eine wichtigere Botschaft war, und die Tatsache, daß eine solche Täuschung notwendig gewesen war, erschreckte ihn und gab den Ausführungen des Briefes ein Gewicht, das er ihnen normalerweise nicht beigemessen haben würde.
Das Entscheidende an Clanes Vorschlägen war, daß sie nur geringfügige Veränderungen in der Disposition erforderten. Der Plan ging davon aus, daß er, Creg, angreifen würde, und Angriff war tatsächlich seine Absicht. Doch Clane brachte zusätzlich einen ziemlich unglaublichen psychologischen Faktor ins Spiel. Zu seinen Gunsten sprach jedoch die unumstößliche Wahrheit, daß vier mit Wasser gefüllte Raumschiffe explodiert waren, ein nach zwei Jahren noch immer ungeklärtes Phänomen.
Creg grübelte lange über der Feststellung in dem Brief, daß die Anwesenheit der marsianischen Armee bei Oslin kein Zufall gewesen war, sondern auf einem Verrat beruhte, wie er in Linn bis dahin unbekannt gewesen war. Seit zweieinhalb Jahren bin ich hier eingeschlossen, dachte Creg bitter, gezwungen, einen Verteidigungskrieg zu führen, weil meine Stiefmutter und ihr Sohn nach unbegrenzter Macht gieren.
Er stellte sich seinen eigenen Tod vor und wie Tews die Nachfolge des Herrschers antreten würde. Der Gedanke erschreckte ihn. Einem plötzlichen Entschluß folgend, ließ er einen Tempelgelehrten herbeirufen, der als Militärseelsorger an der Expedition teilnahm und außerdem ein Mann war, der für sein Wissen über den Planeten bekannt war. »Wie rasch ist um diese Jahreszeit die Strömung im Oslin-Kanal?«
»Ungefähr sechs Kilometer pro Stunde«, war die Antwort. Creg dachte darüber nach. Wenn der Götterstoff ungefähr zwanzig Kilometer nördlich der Stadt ins Wasser geworfen würde, ließe es sich leicht einrichten, daß die Wirkung – wie immer sie aussehen mochte – gleichzeitig mit seinem lange geplanten Angriff auf die Stadt einsetzte. Es würde gewiß nicht schaden, eine wenig aufwendige Nebenaktion wie diese in den Operationsplan einzubeziehen.
Wie sich herausstellte, gab es über den Ausgang der zweiten Schlacht um Oslin niemals einen Zweifel. Am Morgen erwachten die Einwohner der Stadt und entdeckten, daß der breite Kanal und seine Abzweigungen mit kochendem, dampfenden Wasser gefüllt waren. Der Dampf hüllte die Stadt in dichte Schwaden. Sie verbargen die Raumschiffe, die direkt über den Gebäuden niedergingen, auf Straßen und Plätzen landeten und die Soldaten der Invasionsstreitmacht ausspien. Gegen Mittag kapitulierten König Winatkins Truppen in solcher Zahl, daß die königliche Familie nicht mehr fliehen konnte. Der vor Verzweiflung schluchzende Monarch geriet in Gefangenschaft und erbat den Schutz eines Offiziers der Invasionstruppen, der ihn zum neuen Mitregenten Creg Linn eskortierte.
Die Gefangennahme des Königs beendete den Krieg. Nach einer Woche hatten alle marsianischen Streitkräfte bis auf einige isolierte Truppenteile in abgelegenen Gebirgsgegenden kapituliert. Auf der Höhe seines Triumphs wurde Creg Linn eines Abends in den Straßen Oslins von einem vergifteten Pfeil in den Hals getroffen. Er starb eine Stunde später unter großen Schmerzen, und sein Mörder blieb unentdeckt. Als die Nachricht von
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