Das Erbe des Blutes - Roman
also!«
Drinnen konnten sie hören, wie Perry leise ins Telefon sprach.
»Er scheint nicht gerade Abgeordneter der Socialist Worker Party zu sein«, meinte Foster.
Heather ignorierte ihn. »Sieht ganz so aus, als wär sie’s. Das ist dann’ne neue Masche, Körperteile an ein anderes Familienmitglied zu senden.«
Foster seufzte. »Irgendwo muss es doch ein Muster geben. Das erste Opfer sieht aus, als hätte man es zwei Monate vor der Ermordung gekidnappt, das zweite kaum zwei Stunden, bevor es umgebracht wurde. Beim zweiten und dritten Opfer hat man Körperteile entfernt, beim ersten nicht. Die Hände des zweiten Opfers hat immer noch keiner gefunden, die Augen des dritten tauchen am gleichen Morgen wie die Leiche auf. Die einzigen Konstanten sind der Hinweis und die Tatsache, dass Ort und Zeitpunkt mit den 1879 begangenen Morden übereinstimmen.«
Der Türknopf wurde gedreht. Perry kam aus dem Zimmer. »Lassen Sie uns weitermachen.«
15
Nigel hatte getan, was er konnte, um sich an diesem Tag zu beschäftigen, aber egal, was er auch machte, es gelang ihm nicht, den Anblick der toten Frau aus dem Kopf zu bekommen: ihre leeren Augenhöhlen, die weiße Haut perforiert mit Löchern, die an schwarze Monde erinnerten.
Am späten Nachmittag, als er auf seinem Bett lag und vergeblich Schlaf zu finden suchte, hörte er das Telefon klingeln. Während er noch überlegte, wer das sein könnte, und hoffte, es wären Foster und Jenkins, wühlte er sich aus dem Lakenwust und ging an den Apparat. Die Stimme am anderen Ende hörte sich bekannt an, war ihm aber alles andere als willkommen.
»Hallo, Nigel.«
Gary Kent.
»Was wollen Sie?«, blaffte er sie an, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Dammy Perry.«
»Was?«
»Die junge Frau, über deren Leiche Sie heute Morgen gestolpert sind, wenn man das so formulieren kann. Frage mich, ob Sie dazu vielleicht noch was zu sagen haben?«
»Ich sag gar nichts«, erwiderte Nigel und wollte gerade den Hörer wieder auflegen.
»Was? Haben Sie noch’ne Studentin im Bett?«
Nigel erstarrte.
»Zwei Stunden auf einem Unicampus, da lernt man’ne
Menge. Wohl nichts für die Abendnachrichten, bin mir aber sicher, dass ich es irgendwo unterbringen kann.«
»Wollen Sie mich erpressen?«
Kent ignorierte die Frage. »Was ist an der Sache dran, die Bullen wären zur falschen U-Bahn-Station gefahren?«
Woher wusste er das?
»Auf Nimmerwiederhören, Gary.«
Er legte auf, dann hob er den Hörer wieder ab und legte ihn neben das Telefon. Seine Hand zitterte. Kents Bemerkung hatte ihn ins Mark getroffen. Dammy Perry hieß sie, hatte er gesagt. Wenigstens kannte Nigel jetzt den Namen zu dem Gesicht. Er wusste nicht, was er von Kents Enthüllung halten sollte, er wisse, was an der Uni passiert sei. Sollte er das Foster und Jenkins sagen? Er entschloss sich dagegen.
Nigel zog sich an. Er musste an die frische Luft, sich ein wenig müde laufen. Im Hinterkopf wusste er, wohin er gehen würde, aber er wollte noch nicht hinterfragen, warum. Etwas zog ihn dorthin zurück.
Die frühe Abendluft fühlte sich kühl an. Es war immer noch hell und voll auf den Straßen rund um Shepherd’s Bush. Er steuerte direkt am Green vorbei in Richtung Holland Park, ging unter dem Kreisel hindurch, auf dem der Verkehr selbst am Wochenende völlig zum Erliegen kam. Von dort lief er die Holland Park Avenue entlang, bog links in die Princedale Road ein, marschierte vorbei an den ruhigen Privatparks, überragt von riesigen stuckverzierten Stadthäusern. Schon bald befand er sich in den labyrinthartigen Straßen von Notting Dale. Die Luft hier schien ihm weniger frisch. Er passierte den alten Ziegeleiofen auf der Walmer Road, das einzige Relikt aus der Zeit, als der Dale noch für drei Dinge berühmt war: unerbittliche Armut,
Ziegelherstellung und Schweine. Als die Polizei einmal auftauchte, um eine Streiterei beizulegen, begehrten die Anwohner gegen sie auf, formten aus dem überall herumliegenden getrockneten Schweinedung Ziegel und bewarfen die Bullen damit. Dickens hatte über diese Gegend geschrieben und sie als eine der unterprivilegiertesten in ganz London bezeichnet und sich verwundert darüber gezeigt, dass es so viel Schmutz und Elend inmitten einer so eleganten Umgebung gab.
Den Ziegeleiofen hatte man mittlerweile in ein Appartement umgewandelt, das eine halbe Million Pfund wert war.
Am oberen Ende der Walmer Road nahm er eine Abkürzung durch ein Viertel mit Sozialwohnungen und kam zur Lancaster
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