Das Erbe des Blutes - Roman
gefragt, ob er ein paar letzte Worte sagen wolle. Er drehte sich zu den ausgewählten Reportern um und sagte: »Ich war das nicht.« Die Reporter behaupteten, Fairbairn sei auf der Stelle tot gewesen, obwohl der Leichnam, wie damals üblich, eine Stunde am Galgen hängen blieb, bevor man ihn herunterholte und zum Royal College of Surgeons brachte.
Nigel stolperte nach draußen in die anbrechende Dämmerung, nachdem er seine Ergebnisse der Ermittlungszentrale zugefaxt hatte. Auf dem Weg zur U-Bahn spielte er in Gedanken immer wieder alle Einzelheiten des Prozesses und der Hinrichtung durch. Er empfand großes Mitleid mit dem schweigsamen, kindlich wirkenden Mann, der die Höchststrafe erhalten hatte, und lechzte danach, mehr zu erfahren, sich genauer in die Einzelheiten zu vertiefen. Beim Blick auf seine Uhr wusste er, dass die Archive bereits alle geschlossen hatten. Stattdessen würde er sich an diesem Abend mit dem Internet zufriedengeben müssen. Bestimmt
hatten eine Mordserie von derartiger Tragweite, das Gerichtsverfahren und sein Nachbeben bis in die Gegenwart hohe Wellen geschlagen.
Dieser Wissensdurst wurde im Laufe der Stunde, die er für den Weg zu seinem Appartement in Shepherd’s Bush brauchte, immer größer. Er wunderte sich, dass Foster sich nicht gemeldet hatte, vermutete aber, der Detective wäre durch andere Dinge aufgehalten worden. Vielleicht hatten sie den Killer tatsächlich gefasst. Nigel war das ziemlich egal. Sein Interesse galt den Ereignissen aus dem Jahr 1879. Er wollte so viel wie möglich herausfinden, um seine Neugierde zu befriedigen. Er fuhr seinen Computer hoch, noch bevor er die Jacke ausgezogen oder die Tasche abgestellt hatte. Dann ging er ins Internet und tippte in das Suchmaschinenfeld den Namen »Eke Fairbairn«.
Zwei Seiten. Siebenundzwanzig Treffer. Ist das alles?, dachte er. Er hatte mehr erwartet. Es war, als hätte sich alles, was er tagsüber gelesen und gelernt hatte, in Luft aufgelöst, als wäre es einfach aus der Geschichte getilgt worden.
Er prüfte die Treffer. Fast alle Websites wiesen eine Verbindung zum Hunterian Museum im Royal College of Surgeons auf. Dem ersten Link zufolge, den er anklickte, enthielt diese Sammlung anatomischer Ausstellungsstücke die Skelette mehrerer Krimineller, die man nach ihrer Hinrichtung seziert hatte. Darunter befand sich das Skelett des »Mörders Eke Fairbairn«. Wurde Fairbairns Leiche demnach tatsächlich ausgestellt? Ein weiterer Link bestätigte dies. Er checkte, wann das Museum öffnen würde: um neun Uhr am nächsten Morgen. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Morgen würde er den Killer von Kensington treffen.
Foster warf seine Jacke auf den Küchentisch und füllte sich ein Glas randvoll mit Wein. Heather und er hatten den ganzen Abend gebraucht, um in den ersten fünf Stockwerken des Hochhauses an alle Türen zu klopfen: zwanzig Appartements voller mürrischer Männer und Frauen, denen die Polizei grundsätzlich suspekt war. In den letzten Tagen hatten sie nichts Ungewöhnliches bemerkt, es war auch niemand Neues eingezogen. Foster hatte das Gefühl, dass er, selbst wenn dem so gewesen wäre, wohl als Letzter davon erfahren hätte. Er hatte DC Khan für den folgenden Tag angefordert, doch das hieß immer noch, dass sie weitere achtundvierzig Stunden vor sich hatten, in denen sie von Tür zu Tür gehen mussten. Genau so viel Zeit blieb ihnen, bis der Killer sein viertes Opfer präsentieren würde.
Es hatte fünf Morde gebraucht, bis die Polizei 1879 den Mörder vor Gericht stellen konnte. Dieses Mal sollte es nach drei Morden aufhören.
Er nahm seine Jacke und zog einen gefalteten Umschlag aus der Tasche. Darin befanden sich Kopien von Zeitungsberichten, die Barnes über den Prozess aus dem Jahr 1879 gefaxt hatte. Foster setzte sich an den Tisch und begann mit der Lektüre. Doch bald überkam ihn Müdigkeit. Er hatte es satt, den Prozess durch die Brille eines viktorianischen Schreiberlings gefiltert zu bekommen. Er wollte alle Einzelheiten aus erster Hand und die Beweise selbst beurteilen. Er rief Barnes an und hinterließ eine Nachricht. Er fragte ihn, ob die Originaltranskripte aus dem Gericht verfügbar seien, und bat ihn, sich gleich am nächsten Morgen bei ihm zu melden. Irgendein Hinweis auf den Grund für diese Ereignisse würde darin zu finden sein.
Er stand auf und reckte sich. Dann ging er ins Wohnzimmer und überlegte, was er mit sich anfangen solle. Das Haus
war schon
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