Das Erbe des Blutes - Roman
Für alle im Raum sah es so aus, als würde er uns etwas sagen wollen, als würde der Stumme sein Schweigen brechen und uns eine Vorstellung von den in diesem gigantischen kalten Herzen offensichtlich tobenden Gefühlen geben. Doch es blieb bei einem durchdringenden, düsteren Stieren, das nur wenig zu
vermitteln vermochte. Dann sah er wieder auf seine Schuhe.
Als der Gerichtsdiener erschien, richtete sich die gesamte Aufmerksamkeit auf den Tisch, an dem Richter MacDougall für diesen letzten Akt Platz nehmen würde. Es herrschte weiterhin Totenstille, selbst eine Stecknadel hätte man fallen hören können, doch diese Stille wurde durch ein derart lautes Schnappen nach Luft durchbrochen, dass man hätte meinen mögen, die Anwesenden hätten dies zuvor einstudiert. Ausgelöst hatte dieses kollektive Staunen der Gerichtsdiener, als er das schwarze Tuch auf den Tisch des Richters legte. Meine Augen wanderten zum Angeklagten, um seine Reaktion auf diesen furchteinflößenden Gegenstand zu beurteilen, der sein schreckliches Ende ankündigte. Er starrte noch immer vor sich auf den Boden, vielleicht sinnierte er über den Abgrund, in den sein sterblicher Körper in Bälde stürzen würde.
Der Richter betrat den Gerichtssaal, nahm wieder seinen Platz ein und fragte den Sprecher der Herren Geschworenen, ob diese ein Urteil gefällt hätten. Der Sprecher bejahte dies, und als er gefragt wurde, wie das Urteil lautete, erwiderte er: »Wir sind übereingekommen, dass der Angeklagte schuldig ist.«
Der Gerichtsdiener stellte die übliche Frage, ob der Verurteilte noch etwas zu sagen habe, bevor das Todesurteil verkündet wurde. Endlich hob er den Blick, und die ihn Umgebenden schnappten abermals nach Luft. Mit tiefer, trauriger und kaum hörbarer Stimme fand Fairbairn endlich die Sprache wieder.
»Ich war das nicht«, murmelte er. Das war alles, was die bemitleidenswerte Kreatur über die Lippen brachte.
Wie dies gang und gäbe war, beraumte man die Hinrichtung auf den dritten Sonntag nach dem Urteilsspruch an. Doch das Interesse an dem Fall blieb unvermindert bestehen. Am darauffolgenden Tag verkündete die Times in einem Leitartikel, man sei zufrieden mit dem Urteil und gratulierte der Anklage, dass sie einen derartig fesselnden Fall präsentiert habe.
Nigels Blick fiel noch auf einen weiteren Bericht über einen fürchterlichen Mord in North Kensington. Unter der Überschrift »Mann ermordet seine Familie« befand sich ein kurzer Artikel über einen Mann namens Segar Kellogg, der seiner Frau die Kehle durchgeschnitten, den Sohn verletzt und dann die beiden Töchter erstickt hatte, bevor er sich mit dem Messer selbst richtete. Der Sohn war demzufolge noch am Leben, befand sich jedoch in kritischem Zustand. Der Nachname erfreute Nigel, da er ihm nur selten begegnete. Es handelte sich dabei um einen Namen, der einen Beruf bezeichnete: Killhog nannte man Schlächter in Essex. Übersetzt hieß der gesamte Name »John brachte Schweine um«. Als man ihn später von gleichnamigen Männern unterscheiden wollte, nannte man ihn John Killhog. Im Laufe der Jahrhunderte war daraus Kellogg geworden. Wie passend, dachte Nigel grimmig, dass ein Mann mit diesem Namen fast seine gesamte Familie abgeschlachtet hatte.
Die folgenden Artikel in der News of the World konzentrierten sich auf das tägliche Einerlei des Verurteilten. Offenbar herrschte Ungläubigkeit, weil es kein Geständnis gab - Nigel wusste, dass es bei Zeitungen und Zeitschriften üblich war, Sonderausgaben mit dem reumütigen Geschwafel verurteilter Männer und Frauen zu drucken -, und man war wohl der Ansicht, Fairbairn berge solch dunkle Geheimnisse
in sich, dass er Angst habe, sein Herz auszuschütten. Andere dagegen beobachteten, dass er gegenüber jedem, der ihn in seiner Zelle besuchte, auf seiner Unschuld beharrte. Seine Gemütsverfassung beschrieb man als »ruhig«, an anderer Stelle jedoch als »düster und morbide«. Am Sonntag vor der Hinrichtung schien die News of the World seiner überdrüssig geworden zu sein, weil er sich weigerte, eine umfassende Beichte abzulegen. Sie druckte nämlich nur einen kurzen Absatz über ihn. Darin stand zu lesen, dass das Royal College of Surgeons die Überlassung von Fairbairns Leiche zu Sezier- und Lehrzwecken beantragt habe und der Innenminister die Angelegenheit noch prüfen werde.
Auf dem Weg zum Galgen wankte Fairbairn nur ein einziges Mal. Dann gaben sich Norwood, der Henker, und sein Opfer die Hand. Fairbairn wurde
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