Das Erbe des Bösen
bestanden, der CIA etwas völlig anderes zu verraten – nämlich dass Rolf ihr in der Vorwoche gestanden hatte, zehn Jahre zuvor geheime Informationen über die Atomraketenentwicklung an die Russen weitergegeben zu haben.
|423| Rolfs Bekenntnis war die größte Erschütterung in Ingrids Leben gewesen. Schon die Spionage allein wäre für sie vollkommen unfassbar gewesen, aber noch bitterer erschien es ihr, von Rolfs Verhältnis mit Katharina erfahren zu müssen – sowie sein zehnjähriges Schweigen über so große Dinge. Rolfs Nerven waren dem nicht gewachsen, und er selbst hätte das verstehen müssen. Aber offensichtlich hatte er die bittere Wahrheit geahnt: Ingrid würde seinen Seitensprung nicht hinnehmen, und erst recht nicht die Sache mit der Spionage für die Kommunisten. Daran konnte auch der Lauf der Zeit nichts ändern, wenngleich Rolf das gehofft haben mochte.
Ingrid hatte ihn kühl davon in Kenntnis gesetzt, dass sie keinen einzigen Tag mehr mit ihm zusammen verbringen werde. Und am Tag nach dem Geständnis, während der zehnjährige Erik in der Schule war und Rolf an seinem Arbeitsplatz, hatte Ingrid bei der CIA einen Termin vereinbart.
Drei schmerzhafte Tage später hatte sie dann Will Moose getroffen, in der festen Absicht, Rolf zu denunzieren. Denn gab es eine Garantie dafür, dass er nicht auch Informationen über seine aktuelle Tätigkeit beim Apollo-Programm verriet? Dinge, für die sich die Sowjetunion ernsthaft interessierte?
Aber im letzten Moment, sie war schon in Mooses Büro, überkam Ingrid die Reue. Sie konnte doch nicht den Vater ihres Sohnes wegen Spionage anzeigen. Wäre sie aber unverrichteter Dinge wieder gegangen, hätte das natürlich seltsam gewirkt – denn Moose wusste bereits, dass es um Enthüllungen über den Ehemann ging. Also verriet Ingrid in ihrer Not, dass Rolf in den letzten Kriegstagen an einer Operation beteiligt gewesen war, bei der die Nazis angereichertes Uran versteckt hatten. Einzelheiten konnte sie nicht mitteilen, denn die hatte sie selbst nicht.
Noch einmal versuchte sie Erik anzurufen. Vielleicht hatte er ihre Nachricht gehört. Aber er meldete sich noch immer nicht.
|424| Die Fußgänger auf der Lambeth Bridge über die Themse waren mit einem überraschenden Anblick konfrontiert: Der weiße Renault-Lieferwagen einer Installationsfirma raste mit heulender Sirene an den anderen Autos vorbei, der rechte und linke Scheinwerfer blinkten abwechselnd auf. Hinter dem Kühlergrill blinkte ein Blaulicht, und ein zweites war mit einem Magnet am Dach befestigt.
»Die Nummer von dem Klempner hätte ich auch gern«, sagte ein Mann im Trenchcoat zu einem anderen Fußgänger, während sie am Zebrastreifen warteten.
»Eine negative Antwort will ich nicht hören«, sagte David Stone auf dem Beifahrersitz des Lieferwagens der Installationsfirma aufgebracht in sein Spezialmobiltelefon. »Die Lage hier ist kritisch. Ich wiederhole: kritisch.«
Das war die gravierendste Klassifizierung: Sie beschrieb eine Situation, in der eine konkrete und unmittelbare Gefahr dringende Maßnahmen erforderte, die Vorrang vor allem anderen hatten.
»Holt mir die Frau, und wenn sie mit der Königin beim Abendessen sitzt«, bemühte sich Stone um Lockerheit, obwohl er panisch um die nötige Autorität rang.
»Dort ist sie tatsächlich«, hieß es am anderen Ende der Leitung. »Woher wusstest du das?«
»Scheiße, dann soll sie eben auf den Nachtisch verzichten!«
Vor dem Thames House, dem Hauptquartier des Sicherheitsdienstes MI5, bremste Lambert scharf.
Stone rannte mit Telefon und Aktentasche die Treppe zu dem Haupteingang unter dem Bogengewölbe hinauf.
Lambert ging um den Wagen herum und wurde sogleich von einem Sicherheitsbeamten in Zivil angehalten.
»Wie Sie sehen, ist das Halten hier verboten«, sagte der Mann strikt.
Lambert öffnete die Hecktür. Der kreidebleiche Jack stieg aus, taumelte und übergab sich.
|425| »Entschuldige, Jack«, sagte Lambert. »Hat’s sehr geschaukelt?«
Der Sicherheitsbeamte wedelte nervös mit der Hand. »Sie müssen unverzüglich das Fahrzeug entfernen . . .«
»Wir haben jetzt keine Zeit«, sagte Lambert und zeigte seinen Ausweis. »Craig Lambert, CIA.
Code red
.«
Auf einen Schlag wurde die Miene des Beamten ernst. »Kann ich irgendwie behilflich sein?«
»Passen Sie auf den Wagen auf, solange wir bei euch zu Besuch sind.«
|426| 61
Die Tür des Aufzugs im dritten Stock des MI 5-Hauptquartiers war noch nicht richtig offen, da
Weitere Kostenlose Bücher