Das Erbe des Bösen
wirtschaftliche Folgen haben. Die Immobilienpreise in ganz London werden einbrechen – aber das alles muss ich Ihnen ja jetzt nicht weiter ausführen.«
»Haben Sie eine Einschätzung, wo die Bombe platziert sein könnte?«
»Natürlich ist ein mögliches Ziel die City, das würde die Finanzmärkte für lange Zeit ins Chaos stürzen. Oder eine touristische Gegend in West End. Oder sogar hier in Whitehall, falls die Terroristen darauf aus sind, den Kern der Administration zu treffen.«
Die Mitglieder des Komitees sahen einander nervös an.
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Erik ist verschwunden.
Katjas Worte kreisten unablässig in Ingrids Kopf. Sie schienen in den großen Räumen des Hauses zwischen den hohen Vasen widerzuhallen.
Katja wusste eindeutig mehr, als sie sagte. Aber nach allem, was gewesen war, konnte Ingrid durchaus verstehen, dass ihre Schwiegertochter ein gewisses Misstrauen ihr gegenüber hegte.
Die Porträts an den Wänden starrten Ingrid stumm an. Vater, Mutter, zwei Onkel. Alle blond. Sehr skandinavisch.
Diese kräftezehrende Mischung aus Schuldgefühlen und Angst bereitete Ingrid Übelkeit. Rastlos ging sie von einem Zimmer ins andere, von Fenster zu Fenster. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Was konnte sie nur tun?
Zum Glück kam jetzt dieser Mann von der CIA. Zum Glück hatte sie Stone angerufen. Diese Leute würden ihr helfen. Sie konnte jetzt nur abwarten.
In solchen Stunden war kein Mensch gern allein, dachte Ingrid. Wie wäre es gewesen, wenn das Leben mit Rolf anders verlaufen wäre? Wenn Katharina nicht in die Vereinigten Staaten gekommen wäre? Was für ein Leben hätten sie dann geführt?
Ingrid ging ins Schlafzimmer, öffnete den Schrank und nahm einen alten Karton aus dem obersten Fach heraus. Sie griff hinein und fand ein Schulzeugnis von Erik. Wie stolz der kleine Kerl nach Hause gerannt kam und seine ausgezeichneten Zensuren in Mathematik und Biologie präsentiert hatte, weil er wusste, seine Eltern würden sich so darüber freuen.
Wie sehr Ingrid sich nach jenen Zeiten zurücksehnte! Wie |451| sehr sie Rolf vermisste – diesen sentimentalen Dummkopf, der sein Leben lang mit seinem schlechten Gewissen gerungen hatte, der geglaubt hatte, ein besonders starkes Rückgrat zu haben, der aber in Wahrheit ein kindischer, feiger Betrüger gewesen war. Dennoch hatte Ingrid ihren Entschluss zur Scheidung bereut. Katharina war als Lockvogel Moskaus raffiniert vorgegangen, und Rolf war ihr in die Falle getappt. So wollte Ingrid es sehen.
Sie nahm ein Foto in die Hand, auf dem ein gutaussehender junger Mann posierte. »Ach, Rolf«, seufzte Ingrid laut, drückte das Bild an die Brust und schloss die Augen.
Als sie gleich darauf die Augen wieder öffnete, war es, als explodierte die Gegenwart in all ihrer Grausamkeit vor ihr. Wo lag die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart? Wie gehörte das alles zusammen?
Ingrid versuchte, sich zu konzentrieren. Zuerst ging sie die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge noch einmal durch: Vor zwei Monaten kamen zwei Männer von der CIA und erkundigten sich nach dem Uran. Kurze Zeit später flog Rolf nach Deutschland und kam dort ums Leben, und wie es schien, hatte auch seine Reise etwas mit dem Uranversteck zu tun. Nach Rolfs Tod fuhr Erik nach Berlin, kam dem Uran auf die Spur – und jetzt war er verschwunden.
Eine unangenehme Ahnung ergriff von Ingrid Besitz. Warum, um Himmels willen, hatte die CIA nach all den Jahren etwas über das Uranversteck wissen wollen? Ingrid wusste aus eigener Erfahrung, wozu eine Großmacht – sei es Nazideutschland, die Sowjetunion oder die Vereinigten Staaten – imstande war, wenn es darum ging, die eigenen Interessen zu wahren.
Nach und nach dämmerte ihr die schlimmstmögliche Variante. Sie gab sich Mühe, ihre Panik im Zaum zu halten. Immer deutlicher fügte sich ein Baustein auf den anderen. Für die CIA verband sich mit dem Uranversteck etwas derart Brisantes, dass Rolf eliminiert worden war – und vielleicht auch Erik.
Und jetzt kam jemand von der CIA zu ihr nach Hause.
Jeden Moment
.
|452| Polizist Carey von der Londoner
Metropolitan Police
stieg im Sonderdepot der Polizei in Euston in den CBR N-Overall . Um ihn herum legten Dutzende von Kollegen, die zu Hause oder an ihren Einsatzstellen alarmiert worden waren, die gleiche schwere Schutzausrüstung an, die für chemische, biologische oder radioaktive Bedrohungen entwickelt worden war. Dazu gehörte auch ein geschlossener Kopfschutz mit einer
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